Wie viel Macht darf die EU haben?

Analyse: Kritiker versuchen, den europäischen Reformvertrag vor Gericht zu stoppen.

Karlsruhe. Der Vertragstext als "unlesbares Monstrum", Brüssel als "Gewaltenkonglomerat": Die Kläger griffen am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht zu bombastischen Vokabeln, um den Zweiten Senat von der Verfassungswidrigkeit des EU-Reformvertrags von Lissabon zu überzeugen. Die Karlsruher Richter drückten sich ungleich feiner aus - doch in der Sache war ihre Skepsis nicht zu überhören.

Das klang dann zum Beispiel so: "Ist der Gedanke des ,Immer mehr’ in der Tendenz nicht freiheitsgefährdend?", merkte Udo Di Fabio an, der das Mammutverfahren vorbereitet hat. Soll heißen: Droht nicht auch eine Einschränkung der Grundrechte, wenn sich in Brüssel immer mehr Macht konzentriert?

Dass dies so ist, darin war sich die bunte Klägerschar weitgehend einig, die gegen den im Dezember 2007 in Lissabon unterzeichneten Vertrag nach Karlsruhe gezogen ist; darunter EU-Kritiker Peter Gauweiler (CSU), die Linksfraktion mit ihrem Chef Oskar Lafontaine, aber auch eine Gruppe um den ehemaligen CSU-Europaparlamentarier Franz Ludwig Graf von Stauffenberg, Sohn des Hitler-Attentäters.

Aus ihrer Sicht ist der Vertrag der Sündenfall. Die Zentralgewalt der EU werde gestärkt, die Demokratie geschwächt und die staatliche Souveränität Deutschlands damit ausgehöhlt. So sehr, dass Deutschland letztlich das Attribut "Staat" nicht mehr verdiene - weil in Brüssel regiert werde. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) beharrten dagegen darauf, dass "Lissabon" die Demokratie sogar stärke.

Sollte der Senat tatsächlich sein Veto gegen den Vertrag einlegen - wäre das große europäische Projekt auf absehbare Zeit gestoppt? So weit werde das Gericht wohl nicht gehen, meinten Verfahrensbeteiligte. Für wahrscheinlicher hält man Vorgaben an den Bundestag, im deutschen Umsetzungsgesetz zu "Lissabon" einige Korrekturen anzubringen. Das Urteil wird frühestens im Sommer erwartet.

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