Wie verbindlich ist das verbindliche SPD-Votum?

Analyse Auch wenn die Partei ihre Basis befragt, so haben doch die SPD-Abgeordneten das letzte Wort. Ganz frei sind sie dabei nicht.

Düsseldorf. „Verbindliches Mitgliedervotum“. Das steht in roten Versalien über dem Abstimmungszettel, auf dem knapp 464 000 SPD-Mitglieder noch bis Freitag über eine erneute Koalition mit der Union abstimmen. Doch ist dieses Votum wirklich verbindlich? Wird den Parteimitgliedern ein Einfluss vorgegaukelt, den sie gar nicht haben?

Verbindlich — das heißt laut Duden „bindend, verpflichtend“. Wäre das Mitgliedervotum wirklich bindend, so hätten die SPD-Abgeordneten keinen Entscheidungsspielraum. Ihre Verpflichtung zu einem Ja oder Nein zum Koalitionsvertrag müssten sie durch ein Ja oder Nein bei der Wahl von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) umsetzen.

Aber halt: Die gewählten Abgeordneten sind doch weisungsfrei (s. Infokasten). Daher können sie nicht durch das Votum der Parteimitglieder gebunden sein. Genau das wären sie aber, wenn man die Überschrift über dem Stimmzettel ernst nimmt. Ihre Verpflichtung auf Vollstreckung des Mitgliedervotums liefe dem Grundgesetz zuwider.

So hat auch der frühere Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier argumentiert. Die Regierungsbildung sei Angelegenheit der demokratisch gewählten Abgeordneten, nicht der Parteien. Und der Staatsrechtler Christoph Degenhart betonte gegenüber dem Online-Magazin „Legal Tribune“ (LTO), das freie Mandat der Abgeordneten werde durch das Votum der Mitglieder „maßgeblich beeinträchtigt“. Diese Art von Basisdemokratie sei im Grundgesetz nicht vorgesehen. Anders sieht das der Staatsrechtler Jörn Ipsen, der gegenüber LTO betonte: „Den Abgeordneten bleibt es unbenommen, abweichende Entscheidungen zu treffen. Ihr freies Mandat nach Artikel 38 Grundgesetz wird dadurch in keiner Weise beeinträchtigt.“ Auch das Bundesverfassungsgericht sieht das so.

Und was sagt die SPD selbst? Wie ist das mit der Verbindlichkeit zu verstehen? Eine Sprecherin betonte gegenüber dieser Zeitung: „Das Abstimmungsergebnis bindet die Mitglieder des SPD-Parteivorstands.“ Unsere Frage, ob hier dem abstimmenden SPD-Mitglied durch die Überschrift „Verbindliches Mitgliedervotum“ etwas anderes suggeriert werde, blieb unbeantwortet. Immerhin: Indirekt können auch SPD-Mitglieder, denen die verfassungsrechtlichen Feinheiten nicht bekannt sind, aus dem Anschreiben zum Wahlzettel schließen, dass sie selbst doch nicht das letzte Wort haben. Heißt es da doch: „Du entscheidest mit, ob die SPD auf Grundlage des verhandelten Koalitionsvertrags von SPD, CDU und CSU in eine Bundesregierung eintritt.“ Mit zu entscheiden ist weniger, als verbindlich zu entscheiden.

Letztlich können die SPD-Abgeordneten das Votum der Basis ignorieren, ohne dass der Einzelne dabei unangenehm auffällt. Wählen sie doch die Kanzlerin in geheimer Wahl (s. Infokasten). Setzen sich die Abgeordneten über den Auftrag der Basis hinweg, dürfte freilich ein Sturm loslegen, der auch die Mandatsträger hinwegfegen würde. So wird man am Ende zwar nicht von rechtlicher, wohl aber von faktischer Verbindlichkeit des Mitgliedervotums sprechen müssen.

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