Politik Wie mit Studien Politik gemacht wird

Lobbygruppen überschwemmen Politiker und Journalisten beständig mit Studien von teils zweifelhaftem Wert.

Er traue, soll angeblich Winston Churchill gesagt haben, keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht habe.

Er traue, soll angeblich Winston Churchill gesagt haben, keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht habe.

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Berlin. Er traue, sagte einst Winston Churchill, keiner Statistik, die er nicht selbst gefälscht habe. Das gesunde Misstrauen des früheren Briten-Premiers wäre in Berlin höchst angebracht. (Anmerkung: Zu dem vermeintlichen Zitat finden Sie hier eine Korrektur). Hier werden Politiker und Presse mit Studien geradezu bombardiert. Das Ziel ist es, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Durchführung und Veröffentlichung von Untersuchungen ist ein zentraler Teil der Lobbyarbeit geworden.

Vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik tummeln sich die Akteure; es geht um die großen Fragen: Mehr oder weniger Steuern, mehr oder weniger Staat, arm und reich. Besonders rührig ist auf der eher wirtschaftsfreundlichen Seite das Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). Sein Chef Michael Hüther ist mit seinen Untersuchungsberichten regelmäßig Gast in einem der Räume im Haus der Bundespressekonferenz, die auch Verbände für Präsentationen mieten können. Sehr aktiv ist auch die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, die anders als das IW selbst kein Forschungsinstitut ist, sondern ihre Fragen gegen Geld in ohnehin laufende Befragungswellen der Meinungsforschungsinstitute mit einspeist. So machen es fast alle. Die Initiative wird von der Metall- und Elektroindustrie finanziert; der frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (Ex-SPD) leitet das Kuratorium. Die INSM hat für ihre Eigenwerbung unter anderem einen „Bildungsmonitor“ erdacht, der jährlich ermittelt, wie gut die Bildungssysteme der Bundesländer sind und jedes mal eine mit Spannung erwartete Rangliste enthält. Am Mittwoch ist es wieder so weit.

Auf Gewerkschaftsseite hält die Hans-Böckler-Stiftung mit ihrem hauseigenen „Institut für Makroökonomie“ argumentativ dagegen. Dessen Chef Gustav Horn gibt sich mit Hüther bei Pressekonferenzen mitunter regelrecht die Klinke in die Hand. Auch verschiedene Sozialverbände melden sich häufig, allen voran der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, der Untersuchungen zur Armut im Land veröffentlicht. Sein Geschäftsführer Ulrich Schneider ist nicht nur wegen seines markanten Backenbartes republikweit bekannt; er ist als Sozial-Experte häufig gebuchter Interviewpartner und wortgewaltiger Talkgast. Auch der Sozialverband Deutschland meldet sich regelmäßig, meist zur Rente.

In der Energie- und Klimapolitik ist die Zahl der Studien besonders groß — und sehr einseitig verteilt. Hier erheben fast nur Leute die Stimme, die für den Ausbau der Erneuerbaren Energien sind. Ob Bundesverband Windenergie, Stiftung Offshore-Windenergie, Agentur für Erneuerbare Energien oder Agora-Energiewende — wer will, kann sich mit Daten überschütten lassen, die wahlweise besagen, wie gut der Ausbau der Erneuerbaren doch vorangeht, wie sehr er wegen schlechter Politik gerade ins Stocken zu geraten droht, oder wie nötig jetzt eine deutliche Beschleunigung und bessere Förderung wäre. Der Deutsche Wetterdienst mit seinen regelmäßigen Wetterbilanzen und Klimaanalysen sowie das Deutsche Klimakonsortium runden das Bild. Die Gegenseite ist kaum aktiv; für Kohle- oder Atomstrom lässt sich freilich auch schlecht argumentieren.

Mächtige Interessengruppen tummeln sich auch im Bereich der Gesundheit. Fast alle Kassen treten regelmäßig mit Studien auf, die mal Arzneimittelreport, Krankenhausreport oder Pflegereport heißen. An Daten über die Zu- oder Abnahme bestimmter Krankheiten in Deutschland und über die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems fehlt es also nicht. Diagnose klar, Therapie umso umstrittener.

Legitim ist das alles, auch sind die mitgeteilten Statistiken fast immer seriös. Nur sind sie eben nicht vollständig, sondern sorgsam ausgewählt und gewichtet. Wer den Pressekonferenzen folgt — und darüber berichtet — muss immer wissen, welche Ziele die Absender der Information damit verbinden. So wurde kürzlich eine umfangreiche Studie zur Medien- und Internetnutzung von Kindern veröffentlich. Alles sehr interessant. Auffällig war nur, dass sehr viele Daten zum Konsum von Kinderzeitschriften und zur Akzeptanz von Werbung mitgeteilt wurden. Die Auftraggeber, sechs Verlage, publizieren selbst diese Produkte. Im Gegenzug interessierte sie bei der Untersuchung überhaupt nicht, wie sich das Freizeitverhalten der Kinder je nach sozialen Schichten unterscheidet. Am neutralsten sind die regelmäßig vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Daten, aber auch Studien von unabhängigen Stiftungen wie der Bertelsmann-Stiftung.

Scheinbar ohne Hintergedanken kommt alljährlich eine besonders pittoreske Studie mit dem Titel „Die Ängste der Deutschen“ daher. Terrorismus, Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit - es ist enorm spannend zu erfahren, was die Leute um den Schlaf bringt. Der Auftraggeber kommt damit immer ganz groß in die Zeitung, ohne Geld für eine Anzeige bezahlen zu müssen. Es ist eine Versicherung, deren Name in diesem Text aber ungenannt bleiben darf.

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