Warum wir Bonn so sehr vermissen

Unser Autor denkt gern an die Politiker mit Ecken und Kanten zurück, die den Stil des Provisoriums prägten.

Düsseldorf. In unser Bewusstsein ist diese "Bonner Republik" erst getreten, als sie schon (fast) nicht mehr existierte. Der Prozess der Wiedervereinigung löste eine heftige Diskussion darüber aus, ob denn nun wirklich Berlin Hauptstadt eines wieder zusammengewachsenen Landes sein könne. Zwar war das jahrzehntelang in allen Sonntagsreden beschworen worden. Aber das schien auf einmal nicht mehr so richtig wahr zu sein.

Da tauchte zunächst der Begriff der "Berliner Republik" auf und wurde mit allerlei gefährlichen Nebenwirkungen garniert: Zentralstaatliches Denken und damit Schwächung des Föderalismus, Hypothek der Verbrechen, die in Berlin ausgedacht und ausgeübt wurden sowie das Scheitern der Weimarer Republik.

Das Pendant, die "Bonner Republik", zeigte den Gegenentwurf: erfolgreicher Aufbau eines darniederliegenden Landes, ein funktionierender Bundesstaat, ein international verlässlicher Partner und eine vorbildliche Demokratie, wie es sie so auf deutschem Boden noch nie gegeben hatte.

Und plötzlich hatten viele die provisorische Hauptstadt wieder lieb. Denn vorher hatte es die Stadt am Rhein nicht immer leicht. Von Kuscheldemokratie war die Rede, von Provinzialität, Enge und Muff. Bonn - Hauptstadt eines Landes, das sich zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt entwickelt hatte?

Die Hauptstadtdämmerung in Bonn setzte viele Kräfte frei. Es gab phantasievolle Liebeserklärungen. Die Enge wurde zur Überschaubarkeit geadelt, die Provinzialität bekam den Glanz der Gemütlichkeit. Man fühlte sich einfach wohl in Bonn. All die Fremden, die aus allen deutschen Landen kamen und kommen mussten, wurden mit rheinischer Herzlichkeit integriert.

Trotz all dem wurde die eigentliche Arbeit nicht zur Fastnachtsparty. Das Parlament lieferte im Allgemeinen gute Ergebnisse ab, die Regierungen aller Couleur stießen zwar oft an Grenzen, aber die Zensuren lagen unterm Strich bei Befriedigend bis Gut.

Natürlich sind auch die vielen Persönlichkeiten nicht vergessen, die der Bonner Republik ihren Stempel aufdrückten: Konrad Adenauer, Kurt Schumacher, Herbert Wehner und Franz Josef Strauß, Theodor Heuss und Otto Graf Lambsdorff.

Diese und einige andere hier nicht genannte Politiker hatten Charisma, hatten Ecken und Kanten, aber auch Humanität und ein eigenes Demokratieverständnis. All das sind Eigenschaften, die wir heute in der "Berliner Republik" mit der Lupe suchen müssen.

Trauer über die verblichene "Bonner Republik" legt sich nicht über das Land. Aber eine kleine Träne weinen wir ihr doch nach. Sie war, kurz gesagt: liebenswert.

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