Demoskopie Warum Wahl-Umfragen oft nichts taugen

Demoskopie in der Krise? „Nein“, sagt der Chef von Infratest dimap. „Wir machen keine Schätzung für den Wahltag.“

Zwei Wähler stehen bei der Landtagswahl in Schleswig Holstein in einem Wahllokal in den Wahlkabinen.

Zwei Wähler stehen bei der Landtagswahl in Schleswig Holstein in einem Wahllokal in den Wahlkabinen.

Foto: Markus Scholz

Düsseldorf. Was ist nur mit den Meinungsforschern los? Beim Brexit und der US-Wahl lagen sie mit ihren Umfragen ebenso daneben wie bei den Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein. Warum passt die Meinung, die sie erforschen, nicht zum tatsächlichen Verhalten der Wähler bei der Stimmabgabe? Und warum stimmen die Prognosen, die unmittelbar nach Schließung der Wahllokale veröffentlicht werden, oft fast genau mit dem Endergebnis überein?

Antworten weiß Michael Kunert, Geschäftsführer von Infratest dimap in Berlin. Seiner Ansicht nach ist die Qualität der Umfragen nicht schlechter als früher. Leider gebe es aber immer wieder eine Fehlinterpretation: „Denn wir messen die Stimmungslage an den Erhebungstagen, aber wir machen keine Schätzung für den Wahltag“, erläutert Kunert. In kurzer Zeit könne sich viel verschieben. Und offenkundig ändert sich die Meinung des Wählers schneller als früher.

Das geht bei der Prognose nicht. Sie basiert auf Nachwahlbefragungen. Mitarbeiter von Infratest werden am Sonntag bei der Wahl in NRW vor 280 repräsentativ ausgewählten Wahllokalen stehen. Sie fragen nach Stimmverhalten, Alter und Geschlecht. Manche Wähler werden auch Auskunft über Alter, Bildung, Berufstätigkeit und Wahlmotiven geben. Alle Angaben sind freiwillig und anonym, Verweigerer gibt es laut Kunert eher selten. Aus den Daten entstehen jene Hochrechnungen, die sich meist sehr nah an der Wirklichkeit bewegen.

Unbestritten ist die Arbeit der Demoskopen aber schwieriger geworden. Die Institute verdienen ihr Geld vor allem mit den Umfragen, nicht mit den Prognosen. Als Basis dienen Telefonbefragungen. Das war früher leicht, weil praktisch jeder Bundesbürger per Festnetzanschluss erreichbar war. Das gilt aber längst nicht mehr. Junge Menschen und solche, die sich dafür halten, besitzen nur noch ein Handy. Und dessen Nummer steht in keinem Telefonbuch. Wer nur auf Festnetz-Nummern setzt, läuft also Gefahr, zu viele Rentner und Arbeitslose zu befragen. Repräsentativ geht anders. Infratest arbeitet bei bundesweiten Umfragen, an denen rund 1000 Wahlberechtigte teilnehmen, deshalb mit einer Mischung aus 70 Prozent Festnetz- und 30 Prozent Handy-Nummern. Die Vorwahl der Festnetz-Nummern soll eine optimale regionale Verteilung gewährleisten.

Wenn es sich um Befragungen auf Länderebene handelt, funktioniert dieses Prinzip aber nicht. In der Regel wissen die Demoskopen nicht, in welches Bundesland eine zufällig ausgewählte Mobilfunk-Nummer führt. Um dieses Defizit auszugleichen, greift Infratest zunehmend auf Personen zurück, die in der Vergangenheit via Mobilfunk interviewt wurden und bereit sind, erneut befragt zu werden. Um zu verhindern, dass Rentner, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger bei den Umfragen überrepräsentiert sind, finden die Umfragen bei Infratest zwischen 17 und 21 Uhr statt. Dann seien auch Berufstätige meist gut zu erreichen.

Und warum arbeitet das Institut nicht mit Online-Befragungen? Kunert verweist darauf, dass telefonische Interviews in einer „kontrollierten Umgebung“ stattfinden. Online-Befragungen seien dagegen leicht manipulierbar. Außerdem gibt es nach Ansicht des Infratest-Managers zwei weitere Probleme: „Ältere Menschen sind nur zum kleinen Teil online zu erreichen und die wenigen älteren Onliner sind nicht stellvertretend für die Älteren, die nicht im Internet unterwegs sind. Dies ist besonders wichtig, da etwa ein Drittel der Wahlberechtigten über 60 Jahre alt ist und diese eine besonders hohe Wahlbeteiligung aufweisen“, so Kunert.

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