Wahlbörsen: Wo die Parteien käuflich sind

Im Internet werden die Chancen politischer Gruppierungen in Form von Aktien gehandelt. Aus diesem Handel entwickeln sich sehr genaue Prognosen für den Wahlausgang.

Düsseldorf. Für US-Präsident Barack Obama steht Bundeskanzlerin Angela Merkel schon jetzt als Siegerin der Bundestagswahl am 27. September fest. Doch kommt es tatsächlich so? Reicht es am Ende wirklich für Schwarz-Gelb, oder bleibt die Große Koalition, oder gibt es gar eine Mehrheit für eine Ampelkoalition?

Solche Fragen beschäftigen im Vorfeld von Wahlen nicht nur die Meinungsforscher, sondern auch zahlreiche Teilnehmer an Internet-Börsen, wo die Siegchancen der Parteien in Form virtueller Aktien gehandelt werden.

"Diese sogenannten Informationsmärkte orientieren sich in ihrer Funktionsweise an realen Börsen", sagt Markus Franke von der Forecasting Strategy Markets Group (FSM-Group), einer Unternehmensgründung aus der Uni Karlsruhe. "Dort werden Prognose-Aktien dann wie auf einem Aktienmarkt gehandelt. Der aktuelle Aktienkurs spiegelt letztlich die Erwartung aller Teilnehmer über den künftigen Ausgang eines Ereignisses wider - die Prognose."

Zwar geht es bei dem Aktienhandel nicht um reales Geld, sondern lediglich um eine Kunstwährung. Aber auch die wird von den "Aktienhändlern" durchaus ernst genommen - und darauf basiert das Erfolgsgeheimnis der Wahlbörsen, wo den erfolgreichsten Händlern manchmal auch kleinere Sachpreise winken.

Franke: "Da keiner der Händler seinen Einsatz verlieren will, versucht jeder, die Aktien der Parteien preiswerter zu kaufen als das vermutete Wahlergebnis, beziehungsweise die Aktien zu verkaufen, wenn deren Kurs über dem erwarteten Wahlergebnis liegt."

Am Ende steht dann zumeist ein Kurswert der Partei-Aktien, der vom tatsächlichen Wahlergebnis nur sehr gering abweicht. Franke: "Bei derWahlbörse der Uni Karlsruhe zur Bundestagswahl 2005 lag am Schluss die Abweichung zum tatsächlichen Endergebnis bei maximal drei Prozentpunkten." Bei einzelnen Parteien lag die Abweichung teilweise sogar unter einem Prozentpunkt.

Massen-Intelligenz nennen die Wissenschaftler dieses Phänomen: Die Einschätzung vieler Beteiligter, die eben nicht direkt miteinander kommunizieren, sondern ihre Einschätzung gleichsam global abgeben. Diese "Intelligenz der Masse" entdeckte übrigens als erster der britische Forscher Francis Galton im Jahr 1906: Er ließ auf einem ländlichen Markt rund 800 Personen das Gewicht eines Ochsen schätzen. Der mathematische Mittelwert der Schätzungen betrug 1197 Pfund, der Ochse wog tatsächlich 1198 Pfund.

Erfunden wurden die Wahlbörsen in den USA: Robert Forsythe von der Universität Iowa veranstaltete 1988 einen "Political Stock Market" zur US-Präsidentenwahl zwischen George Bush und Michael Dukakis.

"Heute gibt es bereits eine Vielzahl solcher Internet-Börsen, nicht nur im Politik-Bereich, sondern auch für Sport, Entertainment und sogar Wissenschaft", sagt Professor Martin Spann von der Uni Passau, der seit Ende der 90-er Jahre mit seinem Kollegen Bernd Skiera von der Uni Frankfurt die Verwendungsmöglichkeiten solcher Börsen bei betriebswirtschaftlich geprägten Fragestellungen erforscht.

Spann: "Der Preismechanismus einer virtuellen Börse bietet gegenüber anderen Marktforschungsverfahren den Vorteil, dass dabei ganz unterschiedliche Informationen und interdisziplinäre Meinungen der Beteiligten vergleichsweise objektiv zusammengefasst werden." So könnten etwa vor Einführung eines neuen Produktes über eine virtuelle Börse Absatzzahlen und Marktanteile prognostiziert werden.

Sogar das US-Verteidigungsministerium ist vom Funktionieren der virtuellen Börsen überzeugt und wollte das Instrument zur Vorhersage politischer Risiken nutzen. Auf einem "Policy Analysis Market" wollte das Pentagon 2003 beispielsweise die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen wie Staatsstreichen in bestimmten Ländern "handeln" lassen. Aufgrund starker politischer Kritik war das Projekt jedoch gestoppt worden - vorläufig zumindest.

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