Todesschüsse schocken Nordirland

Attentat: Bei einem Angriff auf eine britische Kaserne sterben zwei Soldaten. Militante Absplitterungen der IRA werden verdächtigt.

Belfast. Nordirland befindet sich auf den letzten Metern seines langwierigen Friedensprozesses, als sich in der Nacht zum Sonntag Szenen ereignen, wie es sie seit zwölf Jahren in der Region nicht mehr gegeben hat. Gegen 21.30 Uhr Ortszeit treffen zwei Pizzaboten von "Dominos" an der britischen Kaserne von Antrim ein. Zwei Soldaten, die einen freien Abend vor ihrem Afghanistan-Einsatz genießen wollen, nehmen die Lieferung vor dem Tor entgegen.

Sie haben keine Chance: Im Schutz der Dunkelheit eröffnen die Angreifer aus Maschinenpistolen das Feuer. Die beiden jungen Männer sterben, zwei weitere werden schwer verletzt. Die Täter können verschwinden, bevor die Militärsirenen überhaupt losgehen. Zurück bleibt das von Kugeln durchsiebte Pizzataxi. Auch die beiden Lieferanten schweben noch in Lebensgefahr.

Erst vergangene Woche hatte der nordirische Polizeichef Hugh Orde vor einer "wachsenden Terrorgefahr" gewarnt: "Die Gefahr eines Anschlags ist heute größer als in den letzten sieben Jahren meiner Amtszeit." Zwei IRA-Abspaltungen rekrutierten nach seinen Informationen Ex-Aktivisten, die die Einigung nicht akzeptieren wollten. Orde hatte daraufhin mehr Polizeischutz und Geheimdienst-Unterstützung angefordert.

Die soll er nach Aussagen vom Nordirland-Minister Shaun Woodward auch bekommen haben. Vielleicht war diese Hilfe zu wenig oder zu spät, vielleicht hat man sich auch durch den überwiegend erfolgreichen Friedensprozess in falscher Sicherheit gewähnt. Die Sinn-Fein-Partei warf Orde jedenfalls vor, die Lage durch seine Warnungen unzulässig zu dramatisieren.

Zwar bekannte sich zunächst niemand zu dem Anschlag vor der Kaserne in der Grafschaft Antrim. Doch Politiker machten schnell Verdächtige aus: Seit langem versuchen militante Republikaner den Friedensprozess in Nordirland zu stören und die Koalitionsregierung ins Wanken zu bringen. Infrage kommen dabei nach Medienberichten vor allem Splittergruppen der Terrorgruppe IRA, die sich für eine Abspaltung Nordirlands von Großbritannien eingesetzt, aber 2005 der Gewalt abgeschworen hatte.

Seit fast zwei Jahren teilen sich die einst unversöhnlichen Katholiken und Protestanten per Regierungsbündnis die Macht. Von den 27000 britischen Soldaten, die hier auf dem Höhepunkt des Konflikts stationiert waren, sind nur noch 5000 übrig. Straßensperren gibt es keine mehr, stattdessen ist moderater Wohlstand in die vormals zerrüttete Region eingezogen.

Die Wirtschaft hatte nicht zuletzt durch EU-Finanzspritzen von über 700 Millionen Euro spürbar angezogen; die Immobilienpreise klettern und Belfast - südlich von Antrim - entwickelt sich zum kosmopolitischen Tourismusmagneten. Vertreter der ausgesöhnten Streitparteien, Peter Robinson und Martin McGuiness, hatten für diese Woche sogar eine gemeinsame USA-Reise geplant, um weitere Investoren anzulocken.

Politiker aller Parteien haben den Anschlag am Sonntag scharf verurteilt. Shaun Woodward bezeichnete ihn als "kaltblütig und widerwärtig", Premierminister Gordon Brown versicherte, dass "kein Mörder den Friedensprozess zum Entgleisen bringen wird". Innenministerin Jacqui Smith warnte bei kritischen Nachfragen zu den Sicherheitsstandards vor "Überreaktionen".

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