Thilo Sarrazin: Der begehrte Provokateur

Debatte: Der Ansturm auf die Lesungen von Thilo Sarrazin ist immens. Wird die eine abgesagt, findet sich rasch Ersatz – mit viel mehr Zuschauern.

Berlin. Im Münchner Literaturhaus steht das Telefon nicht mehr still. Die Diskussionsrunde mit Thilo Sarrazin am 29. September ist längst ausverkauft. "Der Ansturm ist unglaublich", sagt Sprecherin Marion Bösker. Viele wollten noch Karten, andere fürchteten, der Termin könnte abgesagt werden. "Das Publikum will keine Zensur. Die wollen über das reden, was sie bewegt." Trotz Drohungen aus der linken Szene sucht das Literaturhaus deshalb einen neuen Veranstaltungsort - mit deutlich mehr Plätzen.

Ob München, Menden oder Sindelfingen, ob kleiner Buchladen oder große Online-Buchhandlung: Sarrazins Werk "Deutschland schafft sich ab" findet reißenden Absatz, die Veranstalter von Lesungen und Podiumsdiskussionen mit dem umstrittenen Bundesbanker werden regelrecht überrannt. In Potsdam und Berlin haben die Organisatoren bereits Ausweichquartiere gefunden, nachdem zwei Kulturzentren die geplanten Termine kurzfristig abgesagt hatten, um Sarrazin keine Bühne zu bieten.

So wird der umstrittene SPD-Mann in Berlin zwar nicht beim Internationalen Literaturfestival im Haus der Kulturen der Welt (HKW) auftreten, dafür aber in einer Diskussionsrunde, die die Peter-Weiss-Stiftung organisiert. Nach Angaben von Stiftungsvorstand und Festivalleiter Ulrich Schreiber hat Sarrazin zugesagt, am 10. September mit ZDF-Moderator Christhard Läpple über die politische Kultur in Deutschland zu diskutieren.

Auch das Brandenburgische Literaturbüro hat inzwischen ein Ausweichquartier in Potsdam gefunden. Da das Kulturzentrum "Waschhaus" die geplante Lesung abgesagt hat, soll die Veranstaltung nun am kommenden Donnerstag im Nikolaisaal stattfinden. Der Saal fasst 700 Menschen, und Veranstalter Hendrik Röder rechnet fest damit, dass der Abend ausverkauft sein wird: "Wir haben riesigen Zulauf."

Sarrazins Auftritt in Potsdam bildet den Auftakt seiner Lesereise, die ursprünglich in einer Buchhandlung in Hildesheim beginnen sollte. Der dortige Buchhändler sagte die Veranstaltung ab, nachdem er aus ganz Deutschland bitterböse Anrufe bekommen hatte.

Die Veranstaltung in München wird voraussichtlich unter Polizeischutz stattfinden. In Sindelfingen hält man das für unnötig. Und auch die Aufregung über das Buch kann Andreas Heßelmann von der Buchhandlung Röhm nicht nachvollziehen: "Das ist doch alles viel ungefährlicher als es dargestellt wird."

"Und das Buch ist überall ausverkauft. Ich kenne keine Buchhandlung, die das noch vorrätig hat", sagt Heßelmann. Nach Angaben des Verlags DVA sind inzwischen 70 000 Bücher ausgeliefert; heute soll die vierte Auflage mit weiteren 80 000 Exemplaren folgen. Insgesamt wird eine Gesamtauflage von 250 000 Exemplaren angepeilt.

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