Politik Teil 3: Referendum ohne Rechtfertigung

Der Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, hat gegenüber dem „Spiegel“ in der vergangenen Woche erklärt, er glaube nicht, dass — wie von Erdogan ohne jeden Beweis behauptet — die Bewegung des Predigers Gülen für den Putschversuch verantwortlich sei.

 Ein großes Plakat mit einem Porträtfoto des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim und Wimpel, die für die Zustimmung zum Referendum werben, hängen an Gebäuden in Istanbul

Ein großes Plakat mit einem Porträtfoto des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim und Wimpel, die für die Zustimmung zum Referendum werben, hängen an Gebäuden in Istanbul

Foto: Lefteris Pitarakis

Und dass der Putsch Erdogan nur einen Vorwand zur Eskalation einer „Säuberungswelle“ geliefert habe, die er bereits vor dem Putsch begonnen habe.

Das Verfassungsreferendum Erdogans hat einzig den Zweck, den Ausnahme- in einen Dauerzustand zu verwandeln. Die Bundesregierung hat nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass Erdogan den Ausnahmezustand im Falle eines Scheiterns des Referendums freiwillig beendet. Im Gegenteil.

Dass Deutschland innerhalb seiner Landesgrenzen diese Abstimmung über die Abschaffung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten entgegen der „Konstanten und Grundprinzipien“ seiner Außenpolitik erlaubt, ist die bisherige Spitze unrühmlicher politischer Mittel, die noch den nützlichsten Zweck (Flüchtlingsabkommen) entheiligen.

Und weil den unheiligen Zusammenhang von Zweck und Mittel niemand politisch zugeben will, wird die deutsche Hilfe zur scheindemokratischen Beseitigung der Demokratie einmal mehr schein-ethisch begründet: Nicht einmal Diktatur-Errichtern sollen demokratische Mittel verwehrt werden.

Sollte diese Argumentation („Die Demokratie muss das aushalten“) ernst gemeint sein, so ist sie nicht nur unhistorisch, sondern in der philosophischen Ethik-Diskussion etwas mehr als 200 Jahre hinter der Zeit. Im Jahr 1797, Napoleons Truppen marschierten im Ersten Koalitionskrieg gerade durch halb Europa, lieferte sich der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724—1804) ein schriftliches Fernduell mit dem liberalen französischen Staatstheoretiker Benjamin Constant (1767—1830), das in einem befremdlichen Aufsatz Immanuel Kants mit dem Titel „Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“ mündete.

Constant hatte sich darüber empört, dass Kant seine moralphilosophische Auffassung einer unbedingten Wahrheitspflicht so weit getrieben hatte, „dass die Lüge gegen einen Mörder, der uns fragte, ob unser von ihm verfolgter Freund sich nicht in unser Haus geflüchtet, ein Verbrechen sein würde“. Kant erwiderte einigermaßen ungerührt, er könne sich nicht erinnern, wann er das gesagt haben solle, aber er räume die Aussage ein.

Und er blieb dabei: „Wahrhaftigkeit in Aussagen, die man nicht umgehen kann, ist formale Pflicht des Menschen gegen jeden, es mag ihm oder einem andern daraus auch noch so großer Nachteil erwachsen.“ Den schutzsuchenden Freund im eigenen Haus einem Mörder zu überlassen, weil es kein Recht zu lügen gibt; nicht einmal aus Menschenliebe — darauf muss man erst einmal kommen. Constant vertrat dagegen die Auffassung, es könne gar keine Wahrheitspflicht gegenüber Menschen geben, die darauf gar kein Recht hätten, und: „Kein Mensch aber hat das Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet.“

Kants Auffassung, es sei „ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Convenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot: in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein“, entspricht seinem „kategorischen Imperativ“ als Prinzip einer Gesinnungsethik, die Handlungen nicht nach ihren realen Folgen beurteilt, sondern unabhängig ihres Ausgangs und ihrer Folgen ausschließlich nach der moralischen Intention: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Konfliktscheu als Handlungsmaxime galt nicht einmal Kant als taugliches Prinzip.

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