Internationaler Tag der Pressefreiheit (Presse-)Freiheit lebt vom täglichen Gebrauch

Der 3. Mai ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. Unabhängige Berichterstattung und freie Rede sind nicht nur in der Türkei, sondern auch in Demokratien bedroht.

Yoko Ono hat ein Kunstwerk zum Thema Pressefreiheit gestaltet.

Yoko Ono hat ein Kunstwerk zum Thema Pressefreiheit gestaltet.

Foto: dpa/Yoko Ono

Düsseldorf. In seinen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis beschreibt der frühere Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“, wie er buntes Zeitungspapier an eine dampfbeschlagene Fensterscheibe presste. Die herabrinnende Farbe schabte er mit einer Rasierklinge ab, um Bilder zu malen. „Zuerst destillierte ich Gelb für Gänseblümchen aus dem Mantel einer Society-Braut. Aus der roten Jacke eines Prinzen des Istanbuler Jet-Sets malte ich Rosen“, so Can Dündar. Im Gefängnis Silivri sind Farben und Buntstifte verboten. Was der Verlust der Pressefreiheit bedeutet, beschreibt Dündar so: „Sie versuchen, uns, die Gesellschaft, das Land, die Welt in eine einzige Farbe einzusperren.“

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat seit seinem zivilen Putsch im Juli 2016 mehr als 140 Zeitungen und Sender geschlossen. Mindestens 130 Journalisten wurden verhaftet, unter ihnen der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel. Er ist seit März im gleichen Silivri-Gefängnis bei Istanbul eingesperrt, in dem Can Dündar die Farbe vom Fenster kratzte. Nicht nur in der Türkei und in lupenreinen Diktaturen wie Nordkorea und Kriegsgebieten wie Syrien oder dem Jemen werden Journalisten bedroht, behindert und bisweilen getötet. Der 3. Mai als „Internationaler Tag der Pressefreiheit“ ist inzwischen eher ein Gedenk- statt ein Feiertag des freien Wortes.

„Die Pressefreiheit ist auch in Demokratien auf dem Rückzug“, beobachtet die Organisation „Reporter ohne Grenzen“. In ihrer jährlichen Rangliste der Pressefreiheit ist das EU-Land Ungarn gerade zum vierten Mal in Folge abgerutscht. Es liegt jetzt auf Platz 71 von 180. In einer flammenden Rede vor dem Europa-Parlament griff der belgische Liberale Guy Verhofstadt vergangene Woche den ungarischen Premierminister Viktor Orbán scharf an: „Was passiert als nächstes? Bücher verbrennen?“ Die Frage ist berechtigt. Systematische Verunglimpfungen kritischer Medien, juristische Bedrohungen, behördliche Behinderungen, wirtschaftlicher Druck auf Verlage, politische Einflussnahmen auf öffentliches Fernsehen und Radio — all das nimmt auch in westlichen Ländern zu.

Zu den Absteigern in der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ gehören 2017 unter anderem die USA (Rang 43, -2 im Vergleich zum Vorjahr), Großbritannien (40, -2), Polen (54, -7), die Niederlande (5, -3), Kanada (22, -4) und Neuseeland (13, -8), verbessert hat sich Frankreich (39, +6). Deutschland liegt in dieser Liste unverändert auf einem wenig rühmlichen Platz 16.

Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Dietmar Wolff, sorgt sich um die „erschreckende Zunahme“ von Fake News in sozialen Medien und „Lügenpresse“-Vorwürfe. Hinter ihnen stünden gezielte Interessen, das Vertrauen der Bevölkerung in eine umfassende und wahrheitsgetreue Berichterstattung der Medien zu erschüttern.

Aber auch das das geplante „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, mit dem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Plattformen wie Facebook in die Haftung nehmen will, sei keine Hilfe. „Es kann nicht sein, dass der Staat seine Hoheit auf Rechtsdurchsetzung ruhen lässt, um Facebook, den größten Inhalteraum der Erde, auch zum größten Zensor zu machen“, so auch Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands der deutschen Zeitschriftenverleger.

Pressefreiheit, das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, wie es Artikel 5 des Grundgesetzes formuliert, ist Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie und mit ihr entstanden. „Wir haben es gesehen, wie die Macht der Zeitungen, das ist die Macht des ausgesprochenen öffentlichen Bewusstseins, größer war als die Macht der Bajonette“, schrieb der Publizist Robert Prutz bereits 1845 in seiner „Geschichte des deutschen Journalismus“ und wetterte gegen die Obrigkeit: „Heiligkeit der Eide, Rechte des Volks, Rechte der Menschheit?! Pah! — Aber die Feder des Zeitungsschreibers fürchten sie.“

Wenn er zu wählen hätte zwischen einem Volke mit einer Zeitung und ohne eine Regierung - und einem Volke mit einer Regierung, aber ohne eine Zeitung, - „so würde ich mich unbedingt für Ersteres entscheiden“, erklärte Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der USA, wenige Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776. Er musste bald erleben, wie John Adams als erst zweiter US-Präsident die gerade errungene Pressefreiheit schon 1798 aushebelte. Angetrieben wurde Adams vom Misstrauen gegen irische und französische Einwanderer sowie Panik vor einer angeblichen Illuminaten-Verschwörung.

Der US-Kongress stimmte vier Gesetzen zu, die Ausländer ihrer Rechte beraubten sowie den Druck „falscher, skandalträchtiger oder boshafter Schriften“ gegen Staat und Präsident unter Strafe stellten. Der leidenschaftliche Kampf, den Jefferson und James Madison gegen die „Alien and Sedition“-Gesetze von Adams führten (und gewannen), schützte von 1801 an die amerikanische Pressefreiheit mehr als 200 Jahre lang. Dass heute mit Donald Trump ein US-Präsident die Medien pauschal zu „Feinden des amerikanischen Volkes“ erklärt, beweist lediglich, dass Pressefreiheit und Demokratie immer wieder neu errungen und verteidigt werden müssen. Und dass es nicht Aufgabe der freien Presse ist, sich in Sonntagsreden von der Politik loben zu lassen, sondern sie zu kontrollieren und kritische Distanz zu wahren.

Wo Presse und Politik die kritische Distanz verloren haben, sollten sie sich dringend „aus der gegenseitigen Umklammerung“ lösen, empfiehlt die Berliner Politik- und Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld in einer gerade erschienenen Analyse der deutschen Demokratie-Krise („Regierung ohne Volk“, Rowohlt, 300 Seiten, 19,95 Euro). Wenn sich die Ministerpräsidentin des größten Bundeslandes beim größten Sender der ARD unterhake und „gemeinsame Aufgaben“ bei der Information der Bürgerinnen und Bürger in Angriff nehmen wolle, kritisiert Weidenfeld ein Deutschlandfunk-Interview von Hannelore Kraft (SPD), dann brauche man das Wort „Staatsferne“ als Definitionsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht einmal mehr zu buchstabieren. „Die selbstverständliche Übergriffigkeit dieses Satzes zeigt, wie klar Ministerpräsidenten die Medien als Einflusssphäre der Politik betrachten — just in dem Augenblick, in dem sich die halbe Republik über die angebliche ,Lügenpresse’ ereifert. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr“, so Weidenfeld.

Der sicherste Garant der Pressefreiheit sind Leserinnen und Leser, die von Journalisten und Verlegern einfordern, wozu diese sich in Deutschland selbst verpflichtet haben, niedergelegt vor mehr als 40 Jahren im Pressecodex der deutschen Zeitungen: zur Achtung vor der Wahrheit, zur Wahrung der Menschenwürde, zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit — und dazu, Forum des fairen Austausches der Meinungen zu sein. Auf der Basis von journalistischer Sorgfalt, der Trennung von Werbung und Redaktion sowie der verlässlichen Wiedergabe der Fakten, und damit der Basis jeder demokratischen Willensbildung.

„Die Freiheitsliebe“, schrieb Heinrich Heine 1833, als hätte er Can Dündar im Gefängnis beim Abkratzen der Farbe für Gänseblümchen und Rosen zugesehen, „ist eine Kerkerblume, und erst im Gefängnis fühlt man den Wert der Freiheit.“ Die Verteidigung der Pressefreiheit durch ihren konsequenten und täglichen Gebrauch ist die beste Waffe der Demokratie, sich des Werts der Freiheit immer wieder zu versichern.

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