Steinmeier: „Die Union will nur einlullen“

Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sucht fast schon verzweifelt den Streit mit dem Koalitionspartner – doch der blockt ab.

Berlin. Die Frage hat er in den letzten Wochen oft gehört. Nun wirft Frank-Walter Steinmeier sie selbst auf. "Wann geht es los?" Den SPD-Spitzenkandidaten packt langsam die Ungeduld. Angela Merkel lässt ihn am ausgestreckten Arm verhungern. "Bisher entzieht sich die andere Seite der Debatte, und ich will sie", sagt der Sozialdemokrat.

Er will über Inhalte streiten, sich am Ziel der Vollbeschäftigung messen lassen. Aber die Union versuche, "die Öffentlichkeit einzulullen". Seine Hoffnung ist, dass Merkel die vermeintliche Strategie nicht durchhalten kann. "Ein Nostalgie-Zug steht jedenfalls nicht für die Arbeit von morgen", spottet er über Merkels Plan, zum Gedenken an Konrad Adenauer in einem Sonderzug durch das Land zu fahren.

Er hat ein Team gebildet, einen "Deutschlandplan" vorgelegt und eine Sommertour gestartet. Er hat fast alle Mittel ausgereizt, um im Gespräch zu bleiben und immerhin erreicht, dass er mit einem Thema identifiziert wird: Vollbeschäftigung. Das Ziel sei "ehrgeizig", aber realistisch.

Ihn stört weniger, dass Leute widersprechen. Schlimmer ist es, nicht ernst genommen zu werden. Steinmeier bettelt an diesem Morgen in Berlin um einen Wettstreit der Ideen. Die Wähler hätten schließlich höhere Erwartungen an die Politik. Sie wollten "keine Castingshow."

Steinmeier hat nicht resigniert. Er hat sich die Unermüdlichkeit eines Staubsaugervertreters angeeignet, der an jeder Tür klopft, zur Not ein zweites und drittes Mal. Er verkauft sich als der Mann, der - "endlich" - über den Horizont der Krise schaut. Steinmeier muss allerdings viel verarbeiten (den Ärger über Ulla Schmidts Dienstwagen-Affäre) und verdrängen, die Umfragen zum Beispiel. "Kein Lamento, keine Rückschau", ruft er aus.

Inzwischen liest Steinmeier nicht mehr so gern über sich, er sei gelassen. Er spürt den Druck ("Gelassenheit ist vielleicht das falsche Wort") und wie ihm die Zeit davon läuft. Er will indes an seiner Linie festhalten und sich auch nicht als Person verstellen.

Neben der Beschäftigung ist die Bildung das zweite Thema. Die Kritik am "Kooperationsverbot" zwischen Bund und Ländern in der Schulpolitik wächst. Da hat sich viel Unmut aufgestaut. Und vielleicht lässt sich daraus Honig saugen. Ende nächster Woche wird die SPD in Kiel zur Bildung einen Kongress abhalten. In den nächsten Wochen will die Partei die Zuspitzung suchen und vor allem Merkel direkt angehen.

Vermutlich wird die Abteilung Attacke von anderen geführt werden müssen, von SPD-Chef Franz Müntefering zum Beispiel. Steinmeier selbst brachte es am Dienstag fertig, eine halbe Stunde vor Journalisten zu reden, ohne Merkel zu erwähnen. Seltsam: Sie scheut die inhaltliche Debatte, er den persönlichen Schlagabtausch. Wie, wie nur soll dabei ein Streit aufkommen?

Die Hoffnung der SPD ist, dass es ihr bei den Landtagswahlen am 30. August gelingen wird, im Saarland oder in Thüringen mit Hilfe der Linkspartei einen CDU-Ministerpräsidenten zu stürzen. Steinmeier kann es sich zwar ausmalen, dass die Union eine Art Rote-Socken-Kampagne starten wird. Er glaubt jedoch, dass die Wähler Müntefering und ihm abnehmen, dass sie im Bund nach dem 27. September keine gemeinsame Sache mit der Linken machen werden.

Es ist noch nicht so lange her, da hat die SPD diese Debatte richtig gefürchtet. Inzwischen ist es der waidwunden Partei aber am wichtigsten, überhaupt irgendwo zu gewinnen, ob in Thüringen oder an der Saar; mit wem auch immer. Für die Seele der SPD wäre ein Sieg ein Labsal - und sei es auch lediglich an der Peripherie der Republik. Hauptsache gewinnen.

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