Stunde Null Flensburger Untergang - Erinnerungen an letzte Tage der NS-Diktatur

Nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands war das Regime Vergangenheit - bis auf eine Stadt ganz im Norden. In Flensburg regierte Hitlers Nachfolger Karl Dönitz mit anderen NS-Größen noch zwei Wochen weiter.

Ein steinerner, vom Hakenkreuz bereinigter, Adler an der Sportschule auf dem Gelände der Marineschule in Mürwik in Flensburg erinnert an frühere Zeiten. Gegen Kriegsende war die Marineschule vom 3. bis 23. Mai 1945 Sitz der letzten Reichsregierung.

Ein steinerner, vom Hakenkreuz bereinigter, Adler an der Sportschule auf dem Gelände der Marineschule in Mürwik in Flensburg erinnert an frühere Zeiten. Gegen Kriegsende war die Marineschule vom 3. bis 23. Mai 1945 Sitz der letzten Reichsregierung.

Foto: Carsten Rehder

Flensburg. Der Ruf Flensburgs als dem letzten Sitz der NS-Regierung drang sogar bis in die Ukraine vor. Die Flensburger Stadtpräsidentin Swetlana Krätzschmar - geboren nahe Odessa - erzählt, dass ihr Vater ihr als Schülerin sagte: Eigentlich sei der Zweite Weltkrieg nicht in Berlin, sondern in Norddeutschland zu Ende gegangen. In einer Stadt namens Flensburg.

Der Historiker Gerhard Paul beschreibt es so: „In den letzten Tagen des „Dritten Reiches“ beherbergt unsere Stadt wie keine andere in Deutschland eine Bande von Massenmördern, Killern und Managern des Holocaust.“

Paul ist Geschichtsprofessor an der Universität Flensburg. In die Stadt flüchtete sich die NS-Regierung nach Hitlers Selbstmord. Bis zum 23. Mai 1945, bis zur Verhaftung durch die Briten harrten sie dort aus.

Für den Großadmiral Karl Dönitz, der nach Hitlers Selbstmord zum Reichspräsidenten geworden war, sei die Stadt mit der Marineschule Mürwik ideal gewesen, erklärt Paul. „Was lag näher, als in eine Landschaft zu gehen, die vom Krieg weitestgehend verschont und nicht im Einzugsbereich der Roten Armee war?“ Auch die grüne Grenze nach Dänemark war nicht weit entfernt.

Zudem wurde von den Briten - in deren Zone Flensburg lag - mehr Nachsicht erwartet. So machte die Regierung Dönitz nach der Kapitulation auf dem Gelände der Marineschule zunächst weiter, hielt auch am Hitler-Gruß fest, erklärt Paul.

Das Oberkommando der Wehrmacht, die Reichsführung, die SS - sie alle retteten sich nach Flensburg. „Himmler kam mit einem Stab von 150 Leuten, die gesamte Leitung der Inspektion der Konzentrationslager“, sagt der Historiker. Speer, Jodl, Keitel, Höß - alle waren da. Zahllose hohe NS-Funktionäre wechselten in Flensburg die Identität. Die Bevölkerung habe wenig mitbekommen, „die mussten sehen, wie sie über die Runden kommen“, berichtet Paul.

Dönitz' „Regierungssitz“ befand sich in der Marinesportschule. Von Flensburg aus wandte er sich im Mai zum Tod Hitlers und zur Kapitulation ans Volk: „Mit der Besetzung Deutschlands liegt die Macht bei den Besatzungsmächten. Es liegt in ihrer Hand, ob ich und die von mir bestellte Reichsregierung tätig sein kann oder nicht.“ Letzteres war der Fall. Am 23. Mai umstellten alliierte Einheiten die Marineanlagen, die Mitglieder der Regierung sowie 420 hohe Beamte und Offiziere wurden verhaftet.

Zum 70. Jahrestag der Flensburger Stunde Null war eigentlich eine große Ausstellung in der Stadt geplant, in Zusammenarbeit mit dem Imperial War Museum London und der Stiftung Topografie des Terrors in Berlin - doch daraus wird nichts. Die genauen Gründe sind unklar.

Die Stadt wird am 23. Mai mit einer nicht öffentlichen Veranstaltung im Polizeipräsidium an den Jahrestag erinnern. An jenem Ort, an dem Dönitz und die anderen als Kriegsgefangene vor der Presse standen. Die Kieler Justizministerin Anke Spoorendonk (SSW) wird erwartet. Später soll ein Kranz an einem Denkmal für NS-Opfer niedergelegt werden. Außerdem ist ein Buch unter Beteiligung des Stadtarchivars geplant. Ein kleiner Rahmen, gibt Stadtsprecher Clemens Teschendorf zu, aber: „Da versteckt sich niemand.“ Die Stadt sei betrübt, dass es mit der Ausstellung nicht geklappt habe.

Dort, wo man erinnern könnte, tue es niemand, kritisiert hingegen Paul. So seien Pläne gescheitert, aus der Marinesportschule ein Museum zu machen. Auch unter touristischen Aspekten könne man mehr erinnern - etwa mit Gedenktafeln an der Post, dem Sitz des letzten Reichssenders, oder an der Marineschule, sagt Paul. „Flensburg hat sich mit der Erinnerung schwergetan bis heute.“

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