Die Silvesternacht von Köln Gutachten zu Kölner Übergriffen: Kriminell in der anonymen Masse

Ein Gutachten hat die Strafanzeigen zur Silvesternacht in Köln ausgewertet. Die Täter seien eher schwach organisiert gewesen.

Die Anonymität und fehlende soziale Kontrolle begünstigten nach der Einschätzung eines Gutachters die hohe Zahl der Straftaten in der Silvesternacht in Köln.

Die Anonymität und fehlende soziale Kontrolle begünstigten nach der Einschätzung eines Gutachters die hohe Zahl der Straftaten in der Silvesternacht in Köln.

Foto: dpa

Düsseldorf. Nach Auswertung von 1022 Strafanzeigen zur Kölner Silvesternacht geht der Gutachter davon aus, dass es bei den Tätern keinen hohen Organisationsgrad gab. Auch seien sie wahrscheinlich nicht schon mit dem festen Vorsatz angereist, „Frauen sexuell zu demütigen und Männer wie Frauen zu bestehlen“. Vielmehr seien die meisten zu den Taten erst durch das Gefühl animiert worden, Teil einer anonymen Masse zu sein, die keiner sozialen Kontrolle unterliege.

Mundpropaganda und soziale Medien hätten die Masse vermutlich in der Silvesternacht zusammengeführt. Die Eskalation der Straftaten erklärt der mit dem Gutachten beauftragte renommierte Wiesbadener Kriminologe und Psychologe Rudolf Egg mit der Broken-Windows-Theorie, wonach ein hohes Maß an Anonymität das Gefühl persönlicher Verantwortung reduziert. „In einer solchen Umgebung können auch Personen, die ansonsten strafrechtlich unauffällig sind, antisoziales, egoistisches beziehungsweise kriminelles Verhalten zeigen.“

Das Gutachten war vom Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags in Auftrag gegeben worden, um neben den bisher über 130 vernommenen Zeugen auch die Opferseite zu berücksichtigen, ohne dazu einzelne Betroffene vorladen zu müssen. Egg geht in seinen Schlussfolgerungen davon aus, dass zur Vermeidung der festgestellten Flut von Strafanzeigen „ein möglichst rasches und vor allem frühzeitiges Eingreifen der Polizei und sonstiger Schutz- und Ordnungskräfte“ und eine frühe Räumung notwendig gewesen wären. Die erst kurz vor Mitternacht erfolgte Räumung sei wahrscheinlich erheblich zu spät erfolgt.

Allerdings finden sich auch nur in knapp sieben Prozent der vorliegenden Strafanzeigen überhaupt Aussagen zum Verhalten der Polizei oder zu vermisster Polizeipräsenz. Hinweise auf organisierte Täter sind laut Gutachten nur bei etwa zehn Prozent der Strafanzeigen enthalten — möglicherweise aber auch, weil die Opfer den Organisationsgrad der Straftäter überhaupt nicht erkennen konnten oder die Frage danach bei der Anzeige nicht auftauchte. Entsprechend spricht das Gutachten an vielen Stellen von Mutmaßungen und davon, dass die „Auswertung der Strafanzeigen nur begrenzte Erkenntnismöglichkeiten liefern konnte“.

Auch der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach (CDU) und sein Stellvertreter Martin Börschel (SPD) enthielten sich bei der Vorstellung am Mittwochnachmittag im Landtag jeglicher Bewertung. Der Gutachter wird am 24. Oktober im Ausschuss zu seinen Ergebnissen und Thesen vernommen.

Ein deutlicheres Bild ergibt sich dagegen bei der Auswertung der Delikte. 302 Anzeigen (29,6 Prozent) betrafen Sexualdelikte, weitere 175 (17,2 Prozent) Eigentums- in Verbindung mit Sexualdelikten. Beim Rest handelte es sich überwiegend um reine Diebstähle.

Ein erster Schwerpunkt für alle Delikte lag in der Zeit zwischen 20.30 und 23.30 Uhr. Reine Diebstähle erreichten in der späteren Nacht von 1.20 bis 6 Uhr einen zweiten Höhepunkt, während die Zahl der Sexualdelikte spürbar zurückging. Klar ist anhand der Auswertung der Anzeigen auch, dass sich immerhin 16,5 Prozent der Straftaten nicht im Freien abspielten, dabei im Wesentlichen im Bahnhof, an den Eingängen und an den Aufgängen zu den Bahnsteigen.

Das 50-seitige Gutachten enthält auch zahlreiche anonymisierte Opferaussagen: „Wir wurden angefeindet, beschimpft, geschubst und von allen Seiten spürte man Hände am Leib, ohne wirklich sagen zu können, zu wem sie gehörten. Es war abartig“; „So eine Panik und Angst habe ich noch nie gehabt“; „Ich fühlte mich in dieser Nacht nicht wie ein Mensch, sondern eher wie ein Gegenstand.“

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