Interview Jürgen Mathies: Übergriffe der Kölner Silvesternacht keine organisierte Kriminalität

Nach den Übergriffen der Kölner Silvesternacht will der neue Polizeipräsident Jürgen Mathies dauerhaft härter durchgreifen. Gleichzeitig warnt er jedoch davor, den Rechten in die Hände zu spielen.

Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies mahnt zur Vorsicht bei der Veröffentlichung der Nationalität von Tatverdächtigen.

Kölns Polizeipräsident Jürgen Mathies mahnt zur Vorsicht bei der Veröffentlichung der Nationalität von Tatverdächtigen.

Foto: Rolf Vennenbernd

Köln (dpa). Die massenhaften sexuellen Übergriffe der Kölner Silvesternacht waren nach Einschätzung von Polizeipräsident Jürgen Mathies keine organisierte Kriminalität. Vielmehr dürften die Täter solche Übergriffe in der Gruppe aus ihren Herkunftsländern schon gekannt haben. Im Interview spricht Mathies auch über die schlechten Aussichten dafür, sie zur Rechenschaft zu ziehen.

Die Karnevalstage waren von der Stadt Köln und von der Polizei zur Bewährungsprobe nach Silvester ausgerufen worden. Waren Sie erfolgreich?

Mathies: Ich tue mich schwer damit, auf eine so einfache Frage auch einfach zu antworten. Denn es sind ja durchaus Straftaten begangen worden. Wir hatten zum Glück nur einige wenige Vergewaltigungen, aber ich glaube, es wäre für die Opfer nur schwer zu verstehen, wenn ich sagen würde: Es war erfolgreich. Aber ich muss einräumen, dass ich erleichtert bin, dass nicht noch mehr passiert ist, dass wir vor allem keine terroristische Lage bekommen habe.

Der personelle Aufwand, den die Kölner Polizei dieses Jahr zu Karneval betrieben hat, lässt sich aber kaum noch einmal wiederholen, oder?

Mathies: Wir werden jede einzelne Lage für sich bewerten und die Gefährdungslage beurteilen. Es hat für mich jedoch oberste Priorität, hier in der Stadt weiterhin sehr präsent zu bleiben. Ich werde alles daran setzen, auf Dauer eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei einzusetzen, die abends rund um den Hauptbahnhof und an anderen Brennpunkten auf der Straße präsent ist.

Das heißt, die Kräfte müssen aufgestockt werden.

Mathies: Darauf läuft es hinaus, wir brauchen die Leute, anders geht es nicht. Wir sehen ja auch die Erfolge: Die Zahl der Taschendiebstähle ist in den letzten Wochen stark gesunken.

Wissen Sie inzwischen Näheres dazu, wie sich in der Silvesternacht eine so riesige Gruppe von jungen Männern am Kölner Hauptbahnhof versammeln konnte? Wie organisiert war das?

Mathies: Nach unserer Annahme lief das über die sozialen Netzwerke. Einzelne haben da wohl gesagt: „Wir fahren nach Köln, da soll große Party sein.“ Es gibt keine Hinweise darauf, dass man es hier mit Strukturen organisierter Kriminalität zu tun hat. Es ist eher so, dass das Phänomen solcher sexuellen Übergriffe in der Gruppe etwa in Kairo auch ganz massiv ein Problem ist. Dieses Verhalten, dass Frauen von vielen Männern zugleich eingekesselt und dann missbraucht werden, das kannten diese Täter wahrscheinlich schon aus ihren Herkunftsländern. Ich muss allerdings sagen, dass mir dieses Phänomen für Deutschland bislang nicht bekannt war.

Die meisten Beschuldigten aus der Silvesternacht, die man bisher identifiziert hat, sind ja mutmaßliche Taschendiebe. Nur in ganz wenigen Fällen geht es um sexuelle Nötigung, dabei waren es ja diese Taten, die besonderes Entsetzen hervorgerufen haben. Wie kommt das?

Mathies: Es ist nun mal einfacher, anhand von Videobildern festzustellen: Der hat da gerade ein Handy weggenommen. Als: Der hat eine Frau befingert. Diese Bilder sind ja alles andere als gut. Ich glaube, hier muss in Zukunft vieles anders werden. An Karneval haben wir die Videoüberwachung ja bereits stark ausgeweitet.

Muss die deutsche Polizei nicht auch generell viel tougher auftreten, um gerade von Straftätern ernst genommen zu werden, die aus autoritären Staaten stammen?

Mathies: Ich will mich darauf beschränken, für Köln zu sprechen. In dieser Stadt muss die Polizei sehr viel tun, damit sich die Menschen wieder sicher fühlen können. Was künftig klar sein muss: Die Polizei schreitet ein, sobald Grenzen überschritten werden. Und diese Grenzen, die Eingreifschwelle, müssen wir sehr tief ansetzen. Beispiel: Wenn keine dringlicheren Aufgaben vorliegen, müssen wir auch gegen Wildpinkeln vorgehen. Das ist eine Ordnungswidrigkeit wie ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Und da fragt auch keiner, warum da die Polizei einschreitet.

Der Polizei ist ja nach Silvester auch vorgeworfen worden, die Nationalität der Tatverdächtigen zu verschleiern. Wo stehen Sie in dieser Diskussion?

Mathies: In der Öffentlichkeit wird derzeit meine Linie des konsequenten Einschreitens stark thematisiert. Dabei ist es mir aber sehr wichtig, dass die Polizei bei ihrem Handeln genau differenziert. Auf der einen Seite haben wir nordafrikanische Intensivtäter oder Taschendiebe, die durch Antanzen schwere Straftaten begehen. Aber wir haben eben auch Flüchtlinge, die mit ihren Familien ungeheures Leid erlitten und unglaubliche Strapazen auf sich genommen haben, um hierherzukommen. Diesen Menschen Sicherheit zu geben und nicht zu stigmatisieren, sehe ich als gleichberechtigte Aufgabe an.

Kann man das eine nicht vom anderen trennen?

Mathies: Die Sorge ist doch, dass man durch die Nennung der Nationalität einen Beitrag dazu leistet, dass hier im Augenblick alles über einem Kamm geschert wird. Mir tut das weh. Als Polizist habe ich den Auftrag, Menschen zu schützen. Und wir wissen doch, welche Auswirkungen das hat.

Also sollte man die Nationalität nicht mitteilen?

Mathies: Wenn sie unmittelbar zum Verständnis der Straftat wichtig ist, dann schon, aber eben nicht generell. Was man wohl feststellen muss: Nach der großen medialen Diskussion darüber haben wir jetzt wohl weniger Spielraum, die Nationalität nicht mitzuteilen. Sie sehen ja, wie sich rechte Gruppen die derzeitige Diskussion zunutze machen.

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