Erster „Schultag“ für die Bundestags-Neulinge

Großes Stühlerücken in den Fraktionen. Allein bei der SPD sind von 192 Abgeordneten 86 erstmals im Parlament.

Berlin. Noch tasteten sich am Dienstag die neuen Abgeordneten ein bisschen unsicher auf der Reichstagsebene unter der so beeindruckenden Kuppel voran. Die vielen Kameras, die zahlreichen Journalisten, das große Gewusel vor den Fraktionssälen, die meisten der parlamentarischen Frischlinge kannten das bisher auch nur aus Fernsehberichten.

Für einen von ihnen, Karamba Diaby, war es ein ganz besonderes Gefühl, nun mittendrin zu sein: Der 51-jährige ist gebürtiger Senegalese, er schreibt Geschichte. Denn er ist der erste aus Afrika stammende Bundestagsabgeordnete. Entsprechend groß war das Interesse an ihm. Kaum auf der Fraktionsetage angekommen, musste der bislang weithin unbekannte SPD-Mann aus dem Wahlkreis Halle auch schon einen Interviewmarathon absolvieren. „Es ist eine große Herausforderung“, meinte Diaby im bedeutenden Tonfall. Als er mit dem Fahrstuhl hinaufgefahren sei, sei ihm noch mal richtig bewusstgeworden, „welche Verantwortung ich jetzt habe“.

Dirk Wiese (30), Neu-Abgeordneter, über den ersten Tag im Bundestag

Das stimmt. Das ist der Idealismus, der im parlamentarischen Alltag auch verloren gehen kann, wenn man von Sitzung zu Sitzung hetzt. Allein bei der SPD sind von den 192 Abgeordneten durch den leichten Stimmenzuwachs und durch einen Generationswechsel 86 neu. Sie alle mussten sich am Dienstag in der Fraktion zunächst einmal ihren Platz suchen.

Einer davon, der 30-jährige Dirk Wiese aus dem Hochsauerlandkreis, hatte erst am frühen Montagmorgen per SMS erfahren, dass er doch noch über die Landesliste in den Bundestag gerutscht war. Rasch packte er seine Sachen und reiste nach Berlin. Kaum angekommen, erhielt er auch schon von seinen Genossen eine Liste mit Terminen. „Überwältigend und aufregend“ sei es jetzt, in der Fraktion und in den Ausschüssen des Bundestages mitarbeiten zu können, so Wiese. Bei der SPD kamen ehemalige und neue Abgeordnete zusammen, so dass sich geherzt und gedrückt wurde, wie bei einem großen Familientreffen.

Im Saal der Union bot sich ein ähnliches Bild. „Das ist wie am ersten Schultag“, grinste Jens Spahn. Der 33-Jährige ist zwar schon ein alter Hase im politischen Geschäft, er wurde zum vierten Mal direkt in den Bundestag gewählt. Dennoch war das erste Treffen der Unions-Abgeordneten nach der Wahl auch für ihn wieder aufregend. Die vielen Neuen — für die CDU und CSU sitzen jetzt 311 statt 231 Abgeordnete im Bundestag — müsse man ein wenig an die Hand nehmen: „Ganz praktisch, wo sind die Räume, wie komme ich ins Gebäude“, so Spahn. Um sich im parlamentarischen Alltag zurechtzufinden, wurde am Dienstag jedem Neuling aber auch ein dicker Umschlag mit einem Wegweiser durch das Haus, dem vorläufigen Abgeordnetenausweis, der Bahnfahrkarte erster Klasse sowie wichtigen Regeln und Vorschriften für Parlamentarier übergeben. „Dann kann es ja jetzt für Sie losgehen“, meinte einer der Mitarbeiter der Verwaltung, als er einem Neuling den Umschlag in die Hand drückte.

Am Mittwochnachmittag werden alle noch eine Einführung in den Bundestag und seine Abläufe erhalten. Die Zuweisung der Büros wird jedoch erst dann erfolgen, wenn die vom Wähler geschassten Liberalen aus ihren Räumen ausgezogen sind.

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