Analyse: Wulff wirbt um Mitgefühl

Berlin (dpa) - Eine Viertelstunde hat Christian Wulff Zeit, seinen Job zu retten. Der Bundespräsident stellt sich ARD und ZDF im Interview, sichtlich angespannt, wie auch nicht.

Er spricht schnell, gelegentlich verhaspelt er sich. Aber er lässt sich auch nicht unterbrechen durch die Fragesteller, Ulrich Deppendorf von der ARD und Bettina Schausten vom ZDF. Am Ende erlebt das Publikum einen zerknirschten Präsidenten, der um Verständnis wirbt, der Fehler zugibt. Zurücktreten will er nicht.

Es war sicher der bisher schwerste Gang des Christian Wulff. Schwer angeschlagen wendet sich das Staatsoberhaupt direkt an die Bürger. Er appelliert an ihr Mitgefühl: „Da fühlt man sich hilflos“, sagt er einmal, und wenig später: „Trotzdem ist man Mensch und macht Fehler.“ Selten spricht Wulff das Wort „Ich “ aus: „Man wird auch ein bisschen demütiger.“

Er erwähnt seine schwierige Kindheit, seine Familie, seine Frau. Und dass er Bundespräsident irgendwie noch lernen müsse. Dass es einen fundamentalen Unterschied geben könnte zwischen dem höchsten Amt des Staates und anderen Jobs, will er nicht gelten lassen. Urlaub bei Freunden müsse doch möglich sein, auch ohne das Gästezimmer zu bezahlen.

In der Sache wenig Neues: Einen Verstoß gegen das Ministergesetz in Niedersachsen habe es nicht gegeben. Die Drohung gegenüber „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann spielt Wulff herunter. Ein „schwerer Fehler“ zwar, aber er habe doch nur um eine Verschiebung der Veröffentlichung über den umstrittenen Kredit gebeten. Und er habe sich entschuldigt.

War dies der Befreiungsschlag? Irgendetwas musste passieren. Der Druck auf Wulff wegen seines Drohanrufs bei der „Bild“-Zeitung und der vorangegangenen Kreditaffäre wuchs von Stunde zu Stunde. Der Bundespräsident musste sich erklären, aber wie?

Eine Wiederholung des knappen Auftritts vom 22. Dezember, als er wenige Minuten im Schloss Bellevue vor die Kameras trat, war undenkbar. Am Ende wählte Wulff für seinen Rettungsversuch ein ziemlich großes Format: ARD und ZDF zur besten Sendezeit - „Rette die Million“ mit Jörg Pilawa musste ebenso verschoben werden wie „Die lange Welle hinterm Kiel“ in der ARD.

Nach den jüngsten Berichten über Wulffs Versuche, Medien und Journalisten einzuschüchtern, wurde die Luft für ihn immer dünner. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte ein Staatsoberhaupt eine derart verheerende Presse. Auch konservative Blätter legten am Mittwoch noch einmal nach. Dazu kamen Hohn und Spott im Netz. Fast überraschend, dass nach einer neuen Umfrage nur 46 Prozent der Wähler den Rücktritt Wulffs forderten - ebenso viele wollten ihn im Amt behalten.

Erkennbar versuchte Wulff, nicht die Journalisten, sondern die Bürger direkt zu erreichen, gab nebenbei auch zu, dass er sein Verhältnis zu den Medien wohl neu überdenken müsse.

Das Interview war ein Novum, bisher gab es für einen solchen Auftritt eines Bundespräsidenten kein Beispiel. Der Politikberater Michael Spreng hätte dem Bundespräsidenten dennoch ein anderes Vorgehen empfohlen. „Wulff hätte sich schon einer Pressekonferenz stellen müssen, ohne zeitliches Limit“, sagte er.

Die professionellen Beobachter, die Medien, die Bürger: Alle waren eingeladen, ihr Urteil über Christian Wulff abzugeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte sich am Abend nicht äußern, ließ sie schon vor dem Interview wissen. Am Donnerstag wird aber auch sie vielleicht eine Entscheidung fällen über das politische Schicksal von Christian Wulff. Ob er sich als Bundespräsident auf Bewährung fühle, wurde er gefragt. „Den Begriff der Bewährung halte ich für abwegig“, sagte er entschlossen.

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