Tunesien-Proteste schwappen auf Algerien über

Paris/Algier/Tunis (dpa) - Ermutigt vom Wandel in Tunesien haben am Samstag in Algier erneut Anhänger der Opposition RCD für Freiheit und Demokratie demonstriert. Dabei gab es Verletzte.

In Tunesien kam es wie in den vergangenen Tagen in mehreren Städten zu friedlichen Demonstrationen gegen die Übergangsregierung. In Tunis forderten etwa 1000 Demonstranten den Ausschluss aller Regierungsmitglieder des gestürzten Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali aus der Politik.

Auch Polizisten demonstrierten in Tunis und verlangten das Recht, Gewerkschaften zu gründen, was ihnen das tunesische Recht verbietet. Ordnungshüter haben sich bei der Bevölkerung entschuldigt, weil sie nicht mehr als Unterdrücker der Bürger eingesetzt werden wollen.

Die Europäische Union will Tunesien beim Aufbau einer Demokratie unterstützen. Die EU arbeite an verschiedenen Maßnahmen, die dem Land beim Übergang helfen und soziale Probleme lindern sollten, sagte die Außenbeauftragte Catherine Ashton der „Welt am Sonntag“. Dazu gehörten die Unterstützung von Wahlen, finanzielle Zusammenarbeit und die Förderung einer unabhängigen Justiz. „Tunesien hat einen Punkt erreicht, von dem es kein Zurück mehr gibt“, sagte Ashton.

Tunesiens umstrittener Übergangs-Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi kündigte im Staatsfernsehen an, er werde sich nach den Wahlen in sechs Monaten aus der Politik zurückziehen. Auch Ghannouchi gehörte dem Regime Ben Alis an.

Unterdessen will der tunesische Islamistenführer Rachid Ghannouchi, 69, „sehr bald“ aus dem Londoner Exil in seine Heimat zurückkehren. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sagte er, er strebe jedoch im neuen Tunesien kein Amt an. „Ich bin kein Khomeini“, erklärte Ghannouchi. Vielmehr wolle er nach 22 Jahren im Ausland nach Hause ­ und dort „intellektuell beitragen“ zu einer „Ära der Demokratie“. Ghannouchi, Chef der seit 1989 verbotenen Islamistenpartei al-Nahda, forderte von der jetzigen Führung eine Generalamnestie für alle Verurteilten einschließlich seiner Person.

In Berlin bekundeten rund 100 Demonstranten vor der tunesischen Botschaft ihre Unterstützung für den Umsturz in dem nordafrikanischen Land. Auf Flugblättern hieß es an die Adresse Europas gerichtet: „Schluss mit der Unterstützung für arabische Despoten“.

In Algier wurde der Protestmarsch der Demonstranten durch die Innenstadt von einem Großaufgebot von Polizisten mit Schlagstöcken und Tränengas verhindert, berichtete eine dpa-Reporterin vom Ort der Demonstration. Mehrere Menschen wurden verletzt, darunter auch ein Parlamentarier der RCD (Vereinigung für Kultur und Demokratie) Zahlreiche Demonstranten wurden festgenommen, unter ihnen auch ein RCD-Abgeordneter.

„Die Macht ist Mord“ und „Bouteflika verschwinde“ skandierten die Protestler, die sich über das Versammlungsverbot hinweggesetzt hatten. Die Menschen forderten die Freilassung von Gefangenen und die Wiederherstellung individueller Freiheiten. Allerdings hatten Hunderte Polizisten mit Schlagstöcken und Tränengas die Innenstadt weiträumig abgesperrt, um Demonstranten aus anderen Landesteilen den Zugang zu versperren. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands 1992 sind in Algerien Kundgebungen verboten.

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