Regierung beschließt Generalamnestie in Tunesien

Tunis/Paris (dpa) - Die tunesische Übergangsregierung hat am Donnerstag eine Generalamnestie für politische Häftlinge beschlossen. Sie müsse aber noch vom Parlament gebilligt werden, erklärte der für die regionale Entwicklung zuständige Minister Ahmed Nejib Chebbi der Nachrichtenagentur dpa.

Zudem werde es ab Freitag eine dreitägige Staatstrauer für die zahlreichen Opfer des Volksaufstands geben. Die Amnestie soll auch der bislang verbotenen Bewegung Al-Nadha den Weg auf die politische Bühne ebnen, die vorerst nicht an der Übergangsregierung beteiligt ist. Ihr im Londoner Exil lebender Chef Raschid Ghannouchi will noch diese Woche nach Tunesien zurückkehren.

Unterdessen will auch die EU das Vermögen des geflohenen tunesischen Ex-Präsidenten Zine el Abidine Ben Ali sperren. Darauf verständigten sich nach Angaben von Diplomaten Vertreter von 27 Mitgliedstaaten am Donnerstag in Brüssel in einer Arbeitsgruppe. Die Schweiz hatte bereits zuvor den Zugriff auf Konten und Immobilien des Ben-Ali-Clans gesperrt.

33 Familienangehörige Ben Alis seien bislang festgenommen worden, berichtete das tunesische Fernsehen. Ihnen werden Verbrechen gegen das Land vorgeworfen. Zunächst war die Identität der Festgenommenen und ihr Verwandtschaftsgrad mit dem Präsidenten nicht bekannt. Gegen sie soll in Kürze ein Verfahren eröffnet werden.

Unterdessen trat in Tunis zwei Tage nach der Vereidigung der Übergangsregierung schon wieder ein Minister zurück. Nach Angaben des Staatsfernsehens legte der Staatsminister für lokale Verwaltung, Zouheir M'Dhaffer, sein Amt nieder. Er hatte sich zuvor als Propagandist der alten Regierung hervorgetan und galt als kompromittiert. Als Reaktion auf die anhaltende Proteste traten am Donnerstag auch die letzten Minister in der Übergangsregierung aus der früher von Ben Ali geleiteten Einheitspartei RCD aus.

Bereits am Mittwoch hatten Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi und Übergangspräsident Foued Mebazaa diesen Schritt vollzogen. Im Zentrum der Hauptstadt gab es dennoch erneut Demonstrationen, bei denen die vollständige Auflösung der RCD gefordert wurde. Aus Verärgerung über den Verbleib zahlreicher Politiker aus der Ben-Ali-Ära in der Übergangsregierung hatten sich bereits vor der Vereidigung des Kabinetts vier designierte Minister zurückgezogen.

Es gebe „breite Übereinstimmung“, das gehandelt werden müsse, um den Zugriff Ben Alis und seiner Vertrauten auf Vermögenswerte in der EU zu kontrollieren, hieß es aus Brüssler Diplomatenkreisen. Derzeit gebe es aber weder einen endgültigen Beschluss noch eine Liste mit den Namen aller Betroffenen. Die EU bereitet nach Angaben der Sprecherin der Außenbeauftragten Catherine Ashton ein Maßnahmenbündel vor, um die politische Wende in Tunis zu begleiten. Tunesien wird Thema beim EU-Außenministertreffen am 31. Januar in Brüssel sein.

Als weiterer Kandidat fürs Präsidentenamt hat sich der frühere Regimekritiker Taoufik Ben Brik (50) ins Spiel gebracht. Der unter Ben Ali mehrere Monate inhaftierte Journalist rechne sich große Chancen aus, sagte er der Nachrichtenagentur dpa in Tunis. „Meine Bücher und Artikel haben entscheidend dazu beigetragen, das Ben-Ali-Regime zum Sturz zu bringen“.

Ben Brik war im November 2009 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil er eine Frau geschlagen haben soll. Seine Familie und die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen sprachen jedoch von einem inszenierten Prozess. Ben Brik selbst erklärte, seine Unterschrift unter dem Vernehmungsprotokoll sei gefälscht. Er hatte seine Verhaftung damals als „Strafe“ für kritische Artikel über den Wahlkampf Ben Alis bezeichnet.

Neben Ben Brik hatte bis Donnerstag nur der ehemalige Vorsitzende der tunesischen Menschenrechtsliga, Moncef Marzouki (65), angekündigt, bei den Neuwahlen kandidieren zu wollen. Sie wären die ersten freien Wahlen in dem nordafrikanischen Mittelmeerland seit der Unabhängigkeit 1956. Der Medizinprofessor Marzouki leitet die Partei Republikanischer Kongress (CPR). Die Bewegung setzt sich für einen demokratischen Staat ein und war unter Ben Ali verboten.

In den deutschen Unternehmen in Tunesien kehrt nach Einschätzung der Deutsch-Tunesischen Industrie- und Handelskammer (AHK) wieder Normalität ein. Nahezu alle Beschäftigten und Unternehmer seien wieder an ihren Arbeitsplätzen. „Dies ist vor allem ein Verdienst der besonnenen Tunesier, die selbst in Tagen des Umbruchs und der politischen Veränderungen mit Bürgerwehren auch ihre Arbeitsplätze geschützt haben“, kommentierte die AHK am Donnerstag in Tunis. Sie hatte am Dienstag - vier Tage nach dem Sturz Ben Alis - eine Umfrage unter ihren 450 Mitgliedsunternehmen organisiert.

In Tunesien leben und arbeiten nach AHK-Angaben ständig bis zu 3000 Deutsche, von denen kaum jemand das Land im Zuge der Unruhen verlassen hat. In den rund 280 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung sind rund 45 000 Mitarbeiter beschäftigt.

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