Sigmar Gabriel: Geschichte am Wendepunkt

München. Für seine Eröffnungsrede des zweiten Tages der Münchner Sicherheitskonferenz griff Sigmar Gabriel (SPD) tief in die Geschichte zurück: In den 30er Jahren des 15. Jahrhunderts, als die chinesischen Kaiser aus Kostengründen die berühmten „Schatzschiffe“ (ihre Hochseeflotte) abschafften, habe das Zeitalter der europäischen Entdeckungen begonnen.

Sigmar Gabriel: Geschichte am Wendepunkt
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Die Europäer hätten es nun in der Hand, ob sie den Anbruch eines neuen asiatischen Zeitalters zuließen oder nicht. China, so Gabriel, plane seine neue Seidenstraße als „umfassendes System zur Prägung der Welt im chinesischen Interesse“. Gabriel sieht die Weltgeschichte an einem Wendepunkt: „Es geht wieder um die Freiheit“, sagte der Außenminister nicht ohne Pathos.

Für Gabriel geht es derzeit vor allem um Gabriel: mangels Regierungsbildung nur geschäftsführend im Amt, droht ihm selbst auch innerparteilich die Demission. Und so beendete Gabriel seine insgesamt ordentliche Rede mit einem Zitat von Benjamin Franklin über Leben und Tod, dass sich auf Europa bezog — aber vielleicht nicht nur: „We must indeed all hang together, or, most ensuredly, we will all hang separately.“ (deutsch: Wir müssen in der Tat alle zusammenstehen, oder wir werden mit Sicherheit alle einzeln hängen.) Gabriel schwankte in seiner Rede zwischen Bewerbungsansprache, Abrechnung und Abschied.

Deutlich milder als zuletzt sprach Gabriel über die transatlantischen Beziehungen und warb darum, künftig wieder gemeinsamer an gemeinsamen Interessen zu arbeiten. Europa könne aus eigener Kraft nicht alleine prägend sein, die enge Zusammenarbeit sei aber auch im amerikanischen Interesse. Andererseits sagte Gabriel aber auch: „China und Russland versuchen, die Einigkeit der EU zu testen und zu unterlaufen. Von Freunden und Partner erwarten wir etwas anderes. Niemand sollte versuchen, die EU zu spalten. Nicht China, nicht Russland, aber auch nicht die USA.“ Er werfe China, das zum Beispiel Afrika als Chancen-Kontinent betrachte, nicht vor, einen Willen und eine Idee zu haben. Der Westen muss sich vorhalten, dass er keine eigene Strategie habe.

Gabriels Rede stieß bei den Konferenzteilnehmern auf ein geteiltes Echo, so nicht zuletzt seine Erklärung, die „Streitfragen mit Russland“ wieder angehen zu wollen. Das Leiden in der Ukraine sei dafür Grund genug. Der Vorschlag, UN-Blauhelme in der Ost-Ukraine einzusetzen, sei einen einen Versuch wert; er jedenfalls werden die Idee unbeirrt weiterverfolgen — und traf kurz darauf am Rande der Konferenz seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow. Gabriel plädierte in München (abweichend von der Linie der Kanzlerin) für einen schrittweisen Abbau der Sanktionen.

Das stieß einigen Konferenz-Teilnehmern nicht zuletzt sauer auf, weil bedeutendes diplomatisches Treffen am Freitag platzte. Nachdem der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk im Interview mit der WZ (http://www.wz.de/amp/home/politik/ukrainischer-botschafter-afd-politiker-wurden-von-den-russen-perfide-instrumentalisiert-1.2614355?__twitter_impression=true) gefürchtet hatte, die Ukraine werden in München außer in einer Rede von Staatspräsident Poroschenko gar nicht zur Sprache kommen, sollte es am Rande der Konferenz erstmals seit über einem Jahr wieder zu einem Treffen im sogenannten „Normandie-Format“ der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine kommen. Dabei sollte es auch um die Überlegungen zu einem UN-Einsatz zu Befriedung des Konflikts zwischen den von Russland unterstützten Separatisten und der ukrainischen Armee gehen.

Das Treffen wurde jedoch kurzfristig aus „Termingründen“ abgesagt und bislang kein neuer Termin vereinbart. Sigmar Gabriel, erst am Vormittag aus Berlin eingetroffen, flog am Nachmittag zurück nach Berlin, um dort an einer Pressekonferenz zur Freilassung von Deniz Yücel teilzunehmen. Am Abend flog Gabriel dann erneut nach München, wo er erneut den türkischen Außenminister Mevlüt Cavosoglu treffen wollte.

Nach Gabriels Rede am Samstagmorgen sprang ihm Konferenzleiter Wolfgang Ischinger persönlich werbend bei. „Man kann Ihnen ja persönlich gratulieren zur Freilassung von Yücel“, sagte Ischinger, und Gabriel antworte diplomatisch: „Das war ein großes Hindernis in unserer Entwicklung, aber nicht das einzige.“ Die Türkei sei ein wichtiger Partner, jetzt müsse man Gesprächsformate wieder beleben, aber das werde schwierig. Zum Auftakt der Konferenz hatte Gabriel in einem Zeitungs-Artikel erklärt (https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/gabriel-faz/1590738), Krisen und Kriege würden am Ende nicht militärisch, sondern zivil und diplomatisch beendet und überwunden. Dagegen stehe leider, dass die Welt um uns herum dies viel zu oft anders zu sehen scheine. „Aber gerade weil das so ist, müssen wir — muss Deutschland — jetzt seine Stimme erheben und Europas zivile Krisenmanagementfähigkeiten stärken. Europa ist die stärkste zivile Interventionsmacht der Welt“, so Gabriel.

Spätestens mit der russischen Annexion der Krim und dem Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine sei auch Europa zum Austragungsort militärischer Stärkebeweise geworden. Nato und Europäische Union hätten darauf mit dem Aufbau einer glaubwürdigen Präsenz der Nato in den östlichen Mitgliedstaaten reagiert, aber auch mit dem jüngsten Erfolg der EU: „25 Mitgliedstaaten haben beschlossen, gemeinsam die ersten, kleinen Schritte auf dem weiten Weg zu einer Europäischen Verteidigungsunion zu gehen.“ Ob Gabriel diesen Weg künftig als Gestalter oder Zuschauer mitgeht, ist weiter völlig offen.

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