Polizeiknüppel dort, Samthandschuhe hier - und die WM

Berlin reagiert zurückhaltend auf Repressionen in Weißrussland und Russland — Abgeordnete stellen die Fußball-WM in Frage.

In Russland sind Tausende Menschen am Sonntag einem Aufruf des Oppositionellen Alexej Nawalny gefolgt und haben gegen Korruption in der Staatsspitze demonstriert.

In Russland sind Tausende Menschen am Sonntag einem Aufruf des Oppositionellen Alexej Nawalny gefolgt und haben gegen Korruption in der Staatsspitze demonstriert.

Foto: Str

Berlin. Die Bundesregierung hat auf die Repressionen gegen friedliche Demonstranten am Wochenende in Weißrussland (Belarus) und Russland zurückhaltend und auch unterschiedlich reagiert. So gab Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) nur wegen des Vorgehens der weißrussischen Behörden am Dienstag eine Pressemitteilung heraus — und verzichtete auf eine persönliche Stellungnahme zu den Übergriffen der russischen Sicherheitskräfte.

Gabriel sagte, die Menschen hätten mit ihren Protesten in Belarus nur ein unverzichtbares Recht ausgeübt. Dagegen vorzugehen sei „nicht verhältnismäßig“. Der Außenminister forderte die Freilassung der Inhaftierten. Er sprach von einem „Rückschlag“ für ein gedeihliches Miteinander mit Weißrussland. Hintergrund: In den letzten Jahren hatte sich das Verhältnis der EU zur Minsker Regierung deutlich entspannt.

Die Wirtschaftssanktionen waren Ende Februar 2016 weitgehend aufgehoben worden. Zuvor hatte Diktator Lukaschenko mit der Freilassung aller politischen Gefangenen und dem gewaltfreiem Verlauf der Präsidentschaftswahlen im Herbst 2015 zentrale Forderungen der EU erfüllt. Seit der Ukraine-Krise sucht Belarus laut dem Auswärtigen Amt verstärkt die Annäherung an die EU, um so seine Abhängigkeit von Russland zu verringern.

Zu Russland, wo es an vielen Orten am Wochenende wegen massiver Korruptionsvorwürfe gegen Ministerpräsident Medwedew ebenfalls zu Demonstrationen und zahlreichen Festnahmen gekommen war, sagte Gabriel nichts. Das hatte bereits am Montag der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, übernommen, allerdings ebenfalls zurückhaltend. Er äußerte seine Besorgnis über beide Ereignisse und erklärte, dass Russland sich im Rahmen der OSZE zur Einhaltung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit verpflichtet habe. Die Festgenommenen müssten freigelassen werden. In der Pressekonferenz sagte Gabriels Sprecher Martin Schäfer, sein Haus teile die von Seibert geäußerte Sorge.

Eine scharfe Verurteilung der Polizeiübergriffe gab es gegenüber beiden Ländern aber nicht. Auch gab es keine diplomatischen Aktivitäten, etwa die Einbestellung des Botschafters. Die Tatsache, dass der Initiator der Prozesse, Alexej Nawalny, am Montag unter offensichtlich konstruierten Gründen zu 15 Tagen Haft und einer Geldstrafe verurteilt wurde, ebenso zahlreiche andere Demonstranten, führte bis Dienstag ebenfalls nicht zu weiteren Aktivitäten der Bundesregierung.

Im Bundestag wurde mehr Klartext geredet. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, der SPD-Abgeordnete Gernot Erler, sagte, er erwarte, dass die Unterbindung der Antikorruptions-Proteste in Russland beim G20-Gipfel in Hamburg zur Sprache komme. Dort sitzt Präsident Putin mit am Tisch. Die Massenfestnahmen zeugten „von Verunsicherung und der Unfähigkeit, die Korruptionsvorwürfe in der Sache zu entkräften“, sagte Erler.

Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs stellte die Fußball-WM im nächsten Jahr in Russland in Frage: „Ein Land, dass nicht einmal die elementarsten Bürger- und Grundrechte garantieren kann, sollte grundsätzlich keine Weltmeisterschaft ausrichten“, sagte er. Allerdings liege die Entscheidung darüber bei der FIFA. Die Osteuropa-Sprecherin der Grünen, Marieluise Beck, sagte mit Blick auf beide Länder, Russland schare die repressiven Regime der Region um sich. Die Härte des Vorgehens unterscheide sich in beiden Ländern nicht und zeuge von der Nervosität der Machthaber.

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