Interview "Die SPD hat keine überzeugenden Antworten"

Nach Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer fällt es SPD-Chefin Andrea Nahles schwer, ihre Partei zu neuen Ufern führen. Unser Korrespondent Stefan Vetter fragte nach.

Interview: "Die SPD hat keine überzeugenden Antworten"
Foto: privat

Herr Neugebauer, ist die SPD mit ihrer Vorsitzenden gut beraten?

Gero Neugebauer: Das Problem der SPD war, dass es einen sehr hastigen Wechsel von Sigmar Gabriel zu Martin Schulz im Parteivorsitz gab, der sich als Desaster entpuppte. Das führte dazu, dass Andrea Nahles plötzlich ganz nach oben gespült wurde. In der konkreten Situation war sie gewissermaßen die Einäugige unter den Blinden. Einerseits kennt Nahles die Partei sehr gut, andererseits steht sie selbst mit für Probleme, die zum Niedergang ihrer Partei geführt haben. Von diesem Dilemma ist die SPD nach wie vor geprägt.

Viele werfen Nahles vor, die Partei nicht erneuert zu haben. Was verstehen Sie konkret darunter?


Gero Neugebauer: Erneuerung der SPD kann nur verstanden werden als ein langfristiger programmatischer Orientierungsprozess, um den Menschen politische Angebote zu machen, die darauf hoffen, in einer gerechten und sicheren Gesellschaft leben zu können. Gleichzeitig sind personelle Alternativen notwendig. Die Union hat ja auch neue Gesichter unter ihren Ministerpräsidenten.

Die Union hat sich über die Asylpolitik fast zerlegt, derweil die SPD ein Stabilitätsanker der „Groko“ ist. Warum wird das von den Bürgern nicht honoriert?

Gero Neugebauer: Die Wählerschaft wird zunehmend konservativ. Diese Entwicklung ist seit 2013 im Gange. Zugleich haben wir eine SPD, die sich in zwei Großen Koalitionen eng an die Union gebunden hat. Ja, es wirkt fast so, als diene sie ihr wie ein Rollator. Dadurch ist die SPD auch konfliktscheu geworden. Das ist eine Erklärung für den Liebesentzug der Wähler. Eine andere ist, dass es der SPD nicht gelingt, ihre politischen Erfolge wie etwa die Angleichung der Versicherungsbeiträge oder damals den Mindestlohn tatsächlich als eigene Erfolge zu verkaufen. Wobei man allerdings sagen muss, dass Angela Merkel der SPD hier das Geschäft sehr erschwert.

 Nach Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer fällt es SPD-Chefin Andrea Nahles schwer, ihre Partei zu neuen Ufern führen.

Nach Einschätzung des Berliner Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer fällt es SPD-Chefin Andrea Nahles schwer, ihre Partei zu neuen Ufern führen.

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Gero Neugebauer findet, die SPD ist von einem Dilemma geprägt. Foto: Freie Universität Berlin


Bei der Landtagwahl in Bayern am 14. Oktober droht der SPD ein Debakel. Wird das auch Nahles angelastet werden?

Gero Neugebauer: Die Bayern-SPD ist traditionell schwach. Sie wird im Land praktisch nur durch Kommunalpolitiker repräsentiert und im Bund durch Leute, die im Land keiner kennt. Insofern hat sie ein großes Darstellungsproblem. Genauso wie im Bund fehlt ihr auch ein zündendes Thema. Wahrscheinlich wird man das Nahles anlasten.

Auf der anderen Seite stellt die SPD etwa im Land Berlin seit fast zwei Jahrzehnten den Regierungschef, doch ihre Umfragewerte sind dort ebenfalls tief im Keller. Was immer die Partei derzeit tut oder lässt, so könnte man resümieren, ist nicht von Nutzen. Oder?

Gero Neugebauer: Die Berliner SPD leidet vor allem unter der schwachen Ausstrahlung ihres Spitzenmanns Michael Müller. Aber Sie haben Recht, das Grundproblem der SPD bleibt: Sie hat keine überzeugenden Antworten auf Fragen, denen die Wähler eine große Bedeutung beimessen. Wie beispielsweise der Beseitigung der Wohnungsnot und der Asylproblematik. Ihr fehlt ein Alleinstellungsmerkmal, das sie von der Union unterscheidet. Kurzum, die SPD muss klar machen, wozu sie noch gebraucht wird. Sonst wird sie nicht aus dem Jammertal herauskommen.

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