Politik-Chinesisch in 23 Sprachen

Das europäische Parlament ist das komplizierteste der Welt. Es kostet jährlich 1,3 Milliarden Euro.

Brüssel. Das Europarlament ist das komplizierteste Parlament der Welt. Es erlaubt seinen bislang 785 (demnächst 736) Mitgliedern, in 23 "Amtssprachen" zu debattieren, was bei den Übersetzungen 506 Sprachkombinationen ermöglicht und von den 430 verbeamteten Dolmetschern Höchstleistungen verlangt, wenn Bulgaren mit Deutschen oder Malteser mit Slowaken auf einen politischen Nenner kommen wollen. 1958 ging es in der Parlamentarischen Versammlung, dem Vorläufer, noch viel überschaubarer zu: Vier Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch) reichten aus.

Heute streiten die EU-Abgeordneten in 22 politischen Ausschüssen über 45 Sachgebiete (wie Umwelt- oder Verbraucherschutz), bei denen sie ein "Mitentscheidungsrecht" haben, wenn Gesetze gemacht werden. 1565 "legislative Prozeduren" diskutierten die Politiker von 2004 bis 2009 im Plenarsaal, 51815 Änderungsanträge schrieben sie dafür auf. Etwa bei den Verhandlungen über die Kontrolle von Chemikalien, das Verbot von Robbenprodukten, den Bann giftiger Pestizide, die strafrechtliche Verfolgung bei Umweltvergehen oder den wirkungsvolleren Schutz des Grundwassers.

Das Vorurteil "Freizeit-Parlament" ärgert die Abgeordneten fraktionsübergreifend. Denn die "gewöhnliche Arbeitszeit" reiche von 5.24 Uhr bis 19.30 Uhr", sagt SPD-Mann Bernhard Rapkay. Am Samstag kommt beispielsweise noch das "Awo-Familienfest 14.30 bis 17.30 Uhr" in der Heimat hinzu.

Auch im Terminkalender des CDU-Kollegen Peter Liese fehlt das Wort "Mittagessen". Grünen-Frontfrau Rebecca Harms ist "froh, wenn sie an zwei Wochenenden im Monat zuhause sein" kann. Denn die EU-Abgeordneten sind gehalten, an hunderten Brüsseler Ausschuss-Sitzungen, bei den zwölf Plenarwochen in Straßburg und sechs weiteren in Brüssel teilzunehmen.

Rund 5800 EU-Beamte halten die Parlamentsmaschinerie der 27 EU-Staaten in Gang. Zum Vergleich: Der Bundestag hat 2600 Staatsdiener.

Derzeit kostet das EU-Parlament 1,3 Milliarden Euro jährlich, 44 Prozent davon für Personalkosten, vor allem für Übersetzer, die im Jahr über eine Million Seiten komplexer Gesetzes-Materie bewältigen müssen. Denn von Tallinn bis Thessaloniki will jeder exakt gleiche Gesetzestexte in Landessprache lesen. Rund 21 Prozent der Kosten (277 Millionen Euro) entfallen im Jahr auf die EU-Abgeordneten und deren Kosten für Reisen, Bürounterhalt und die persönlichen Assistenten.

Um das Klima zu schonen, wollen die Politiker bis zum Jahr 2020 rund 30 Prozent weniger CO2 in die Luft blasen. Dazu sollen ihre Parlamentsgebäude in Brüssel, Straßburg und Luxemburg mit zusammen über einer Million Quadratmeter Fläche "auf Grün" getrimmt werden. Auch der Reisezirkus zwischen den drei Standorten mit geschätzten Kosten von 200 Millionen Euro im Jahr ist vielen EU-Abgeordneten ein Dorn im Auge. Immerhin, lobt die Parlamentsspitze: "Seit 2008 bezieht das Europäische Parlament an allen drei Standorten Strom, der nachweislich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt (beispielsweise Wasserkraft). Allein dadurch wird der CO2-Ausstoß um 17 Prozent verringert".

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