Piraten suchen ein Programm

In Bochum wird der Personalstreit beigelegt und über Inhalte diskutiert. Nicht alles läuft rund.

Bochum. Das Erstaunlichste an einem Bundesparteitag der Piraten ist immer noch die Tatsache, dass sich mehr als 2000 Menschen aus ganz Deutschland ein komplettes Wochenende dafür Zeit nehmen. Die persönliche Begegnung hat also doch einen hohen Stellenwert, trotz des virtuellen Meinungsaustauschs. „Real life hat eben auch seinen Charme“, sagt Parteichef Bernd Schlömer.

Das echte Leben in einer dunklen Halle in Bochum hat die Piraten ein Stück Richtung Bundestagswahl 2013 gebracht. Dass ihnen auf die großen Fragen — Eurokrise, Klimawandel, Globalisierung und demografischen Wandel — nicht viel anderes einfällt als den anderen Parteien, ist allerdings auch klar geworden.

Immerhin haben die Piraten auf dem Parteitag Eckpfeiler eines Programms errichtet. Schlömer sagt, die Piraten würden vor allem für ihre Kernthemen Internet, Urheberrecht und Transparenz gewählt. Und er will die Kompetenz der Partei für „lebenspraktische Fragen“ herausstellen. „Wie wird mein Kind betreut oder wie komme ich zur Arbeit“, nennt er als Beispiele. Aber Schlömer weiß auch, dass die Partei nicht in den Bundestagswahlkampf ziehen kann, ohne zum Euro, zur Rente und zur Außenpolitik Aussagen vorzuweisen. Dennoch ist erkennbar, dass die Piraten von diesem Spagat zwischen Alt und Neu überfordert sind. Netzpartei und Basisdemokratie einerseits, große Politik und effizienter Apparat andererseits. Die stundenlangen Antragsberatungen zeigen, dass der gut gemeinte Einsatz von vielen tausend Mitgliedern oft keine belastbaren Vorlagen produziert. Zu viel, zu lang, zu beliebig, und jeder kann, wenn er will, ein paar Fehler finden, die man den Antragstellern um die Ohren schlagen kann.

Sehr allgemein bleibt es etwa in der Außenpolitik: „Leitmotiv des globalen Handelns der Piratenpartei ist das Engagement für Menschenrechte und eine gerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.“ Dem will kaum jemand widersprechen. Ebenso die Forderung nach Mindestlohn und Mindestrente.

Immerhin ist es der Parteiführung gelungen, die zum Teil dramatischen Personalstreitigkeiten der vergangenen Monate bis auf weiteres zu beenden. Und vermutlich bleibt der Vorstand sogar bis nach den Bundestagswahlen im Amt, weil der Parteitag sich gegen eine Neuwahl aussprach. Neues Ungemach droht allerdings schon: Mitglieder aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern planen laut „Focus“ eine Unterschriftenaktion, um den siebenköpfigen Vorstand abzuwählen.

Der weiterhin umstrittene Politische Geschäftsführer Johannes Ponader darf mit einer kämpferischen Rede wieder Sympathien sammeln. Ansonsten hält er sich zurück, zu groß ist der Zorn über die Eskapaden des Mannes, der so gerne in TV-Talkshows saß.

Das Publikum wie gewohnt: vor allem männlich, Kapuzenpullover schwarz oder orange, Laptop, Smartphone, Mate-Sprudel, Pizza-Reste, vereinzelt wird gestrickt. Als exotischer Gast taucht am Samstag der Ex-68er Rainer Langhans auf. Mitglied ist er aber nach Auskunft der Partei nicht.

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