NSU-Prozess: Das Ende eines Lebenstraumes

Polizist Martin A. überlebte ein Attentat. Die Qualen bleiben.

NSU-Prozess: Das Ende eines Lebenstraumes
Foto: dpa

München. Martin A. wollte schon immer Polizist werden. Ein Kindheitstraum, erzählt er am Donnerstag. Sein Studium als Wirtschaftsingenieur hängt er nach zwei Jahren an den Nagel, obwohl seine Eltern sich an den Kopf fassen. Im März 2007 ist es dann so weit: Er fängt als Polizeimeister bei der Bereitschaftspolizei an. Dort wird er nochmals mehrere Wochen lang geschult.

Martin A., damals 24 Jahre alt, will endlich raus auf die Straße. Er meldet sich freiwillig zu einem Einsatz in Heilbronn. „Das war der erste und letzte“, sagt er. Am Donnerstag sitzt er als Zeuge im NSU-Prozess. Um ein Haar hätte er den Einsatz nicht überlebt. Er hätte das elfte Todesopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ sein können.

Martin A. erzählt strukturiert und flüssig. Er kann sich an viele Details des 25. April 2007 erinnern. Im Streifenwagen fuhr er mit seiner Kollegin Michèle Kiesewetter. Zur Mittagspause fahren die beiden zur Theresienwiese, einem Festplatz am Neckarkanal. Dort verbringen Streifenbeamte gerne ihre Pause. Ab da setzt die Erinnerung von Martin A. aus. Als er einige Wochen später aus dem Koma erwacht, liegt er im Krankenhaus, angeschlossen an Schläuche.

Erst nach und nach wird ihm erklärt, was passiert ist: dass er Opfer eines Attentats wurde. Dass Unbekannte ihm eine Kugel in den Kopf geschossen haben. Dass seine Kollegin tot ist. Jahrelang versucht Martin A., seine Erinnerung wachzurufen. Er lässt sich unter Hypnose vernehmen. Seinen Kollegen habe er gesagt: „Wenn irgendwas in mir drin ist, holt’s raus. Aber da war einfach nichts mehr.“

Es dauert mehr als vier Jahre, bis klar wird, wer hinter dem Anschlag steckt. Am 4. November 2011 erschießen sich die Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem Banküberfall, um der Festnahme zu entgehen. In ihrem Campingwagen finden Ermittler die Dienstpistolen von Martin A. und Michèle Kiesewetter.

Nach dem Attentat erholt sich Martin A. langsam. Von 2008 an geht er auf die Polizeihochschule, schafft den Sprung in den gehobenen Dienst, wird Polizeikommissar. Doch sein rechtes Innenohr bleibt geschädigt, ein Teil der Kugel steckt noch in seinem Kopf. Immer wieder kommen Angstzustände.

„Ich war zwar wieder Polizist, aber nur im Innendienst“, sagt er. „Mir hat es das Herz zerrissen. Das war nicht mehr mein Lebenstraum — es ist meine Arbeit.“

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