Politischer Wandel in engen Grenzen

Ist zur Wahl alles gesagt, alles gesendet, alles geschrieben? Sicher das meiste: Die Leitmelodie - für manche Leidmelodie - war der Wandel. Wir bekommen eine neue Regierung. Wir haben erstarkte drei kleine Parteien, die halbstark werden.

Das Fünfparteiensystem hat sich fest etabliert. Die vormals großen Volksparteien sind abgemagert und bringen zusammen nur noch gut 56 Kilo, nein, Prozent auf die Waage.

Rot-Grün hat bis vor vier Jahren noch mit absoluter Mehrheit der Sitze regiert, jetzt verfügen sie gemeinsam nur noch über ein Drittel der Stimmen. Die alte Tante Sozialdemokratie könnte gar die Schwindsucht kriegen. Und die CSU hat nur noch halb soviel Sitze wie die FDP. Wird nun alles anders? Meine These lautet: Es bleibt überraschend viel gleich.

Die Bundestagswahl bedeutet eine Wende. Aber Segler wissen, dass eine Wende gegen den Wind gefahren wird, nicht mit dem Wind, wie eine Halse. Wir befinden uns im Gegenwind, wenn man an Finanzkrise und Klima, Arbeitsplätze und Gesundheit, Bildung, soziale, äußere und innere Sicherheit denkt. Die seglerische Wende ist keine Kehrtwende um 180 Grad, sondern man wechselt den Wind von vorne links auf vorne rechts, um es auch für Segellaien zu formulieren. Dies werden wir auch jetzt in der Politik erleben.

Denn die Kanzlerin und die Union bleiben an der Regierung. Sie werden nicht alle Gesetze neu schreiben, sie werden nicht Tausende Beamte aus ihren Büros werfen und mit ihren Parteigängern besetzen, wie dies in den USA üblich ist. In Deutschland herrscht Kontinuität. Auch bei Regierungswechseln.

Dafür sorgen schon zahlreiche Beharrungskräfte: in der Verfassung, insbesondere in Bundesrat und im Bundesverfassungsgericht, aber auch in der Rechtsprechung und in den Verwaltungen, in den Verbänden und in den Medien und natürlich durch die Einbindung in die Europäische Union und internationale Verträge. Da stoßen selbst kleine Schritte schon an enge Zäune und Stolpersteine.

Viele haben Horrorszenarien an die Wand gemalt, welch unstabile Verhältnisse in einem Fünf-Parteien-System drohen. Neue Dreierkoalitionen seien gefragt mit Farbkompositionen, die sich beißen. Oder man müsste ewig weiter mit einer ungeliebten Großen Koalition regieren, die doch demokratisch problematisch sei durch ihre Übermehrheit. Alles nicht eingetreten, nicht im Bund und nicht in den beiden Ländern. Es kann noch mit zwei Parteien koaliert und regiert werden.

Prof. Ulrich von Alemann lehrt Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

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