Groschek neuer SPD-Chef in NRW NRW-SPD: Neustart mit „ehrlichen Ergebnissen“

Mit 85,89 Prozent hat die SPD-Basis Mike Groschek zum Nachfolger von Hannelore Kraft gewählt, Svenja Schulze erhielt 68,86 Prozent als Generalsekretärin.

Der neue Landesvorsitzende der NRW-SPD Groschek war mit seinem Wahlergebnis sehr zufrieden.

Der neue Landesvorsitzende der NRW-SPD Groschek war mit seinem Wahlergebnis sehr zufrieden.

Foto: Federico Gambarini

Duisburg. Der Slogan „NRWir“ mit dem Hashtag-Zeichen „#“ ist ebenso weg wie die Chefin. Elvan Korkmaz, eine von vier selbst in der Partei weitgehend unbekannten Vize-Vorsitzenden, eröffnet den Parteitag mit dem Hinweis: „Hannelore Kraft kann heute nicht hier sein. Sie lässt Euch grüßen.“ Keine Reaktion im Saal, kein Applaus, und auch später in keiner Rede und keinem Wortbeitrag irgendein persönliches Wort zu Kraft, schon gar keines des Dankes. Das ist ein Teil der Stimmung unter den 412 Delegierten des Sonderparteitags in der Duisburger Mercatorhalle.

Der andere Teil ist: Die Parteibasis akzeptiert die Entscheidung, dass mit Mike Groschek als Vorsitzendem und Svenja Schulze als Generalsekretärin zwei abgewählte Minister das neue Führungs-Duo der Partei sein sollen. 353 von 411 Stimmen für Groschek, 43 gegen ihn, 15 Enhaltungen — macht 85,89 Prozent. „Alles andere wäre auch gelogen“, sagt der neue Landesvorsitzende und bedankt sich für das „ehrliche Ergebnis“. Zum Vergleich: Als Jochen Dieckmann, abgewählter Finanzminister des Kabinetts Steinbrück, im Juli 2005 den NRW-Vorsitz der SPD von Harald Schartau übernahm, erhielt er 94,9 Prozent.

Das Ergebnis für Schulze ist sogar noch ehrlicher als das für Groschek: 81 Gegenstimmen, 47 Enthaltungen, macht 68,86 Prozent. Unter anderen Umständen wäre das eine Katastrophe. Doch in den Zahlen drückt sich bloß aus, was die Basis-Genossen den Führungs-Genossen in der Aussprache an Wortbeiträgen ersparen. Lediglich Norbert Römer (70), der ewige Fraktionsvorsitzende im Landtag, musste sich von einem Delegierten anhören, nicht die richtige Wahl für einen Neuanfang zu sein.

Groscheks Rede, die unplanmäßig gut eine Stunde dauert, lässt durchblicken, dass der inhaltliche Neuanfang auf teils recht alten Tugenden fußt: Kurze Sätze, mehr Müntefering als noch mehr Martin, klare Aussprache. Entschuldigung bei der Basis, offenes Einräumen, dass ausschließlich die Parteispitze die Niederlage zu verantworten hat: „Wir haben die Karre vor die Wand gefahren, weil wir uns zu sicher waren und nicht glaubten, dass Armin Laschet Hannelore Kraft besiegen kann.“

Natürlich nennt Groschek die abwesende Ministerpräsidentin nicht namentlich, aber es ist klar, wenn er meint, wenn er fordert, die Partei dürfe nicht mehr zu einer schweigenden Mehrheit gemacht werden, auch nicht in einer Koalition. „Wir brauchen einen Neuanfang, der sich gewaschen hat“, poltert Groschek, und die „alten Galoschen“ dürften nicht zur Reparatur gebracht, sondern müssten weggeschmissen werden. Es gibt weder ein „Glückauf“ am Ende der Rede, noch einen Knappenchor. Stattdessen will Groschek die Organisatoren am Ende auf der Bühne haben.

Das hört sich Noch-Innenminister Ralf Jäger kommentarlos an, der als Vorsitzender der Duisburger SPD in der zweiten Reihe Platz genommen hat. Wie auch Christina Kampmann (Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport) aushalten muss, dass Groschek seiner Partei bescheinigt, den Draht zu Kunst und Kultur neu aufnehmen zu müssen; Hannelore Kraft fühlte sich bekanntlich auf der Mönchengladbacher Borussia-Tribüne wohler. Groscheks Stil hat den Vorzug, dass er Sprachbilder benutzt, die sich jeder merken kann, und die auch in eine Twitter-Nachricht von wenigen Zeichen passt: „Parteitag muss Alltag werden“, die Kretschmänner und -frauen sind „eine FDP vom Biobauernhof“, „mehr Politik als Reden über Spiegelstriche“, der digitale Kapitalismus braucht Betriebsräte statt bloß einen Kicker im Pausenraum.

Die, denen das gefällt, kennen Groschek überwiegend noch aus seinen Jahren als Generalsekretär. Für die anderen gibt es Svenja Schulze, die ruhiger aber nicht weniger inhaltlich pointiert spricht und als künftige Erfolgsrezepte sowohl auf den Labour-Wahlkampf in Großbritannien als auch auf die Konzepte der eigenen Jusos verweist. Aufarbeitung und Aufbruch sollen gleichzeitig stattfinden. Also sammeln sich vorerst in Duisburg noch die alte und die neue SPD, um den Bundestagswahlkampf zu stemmen und Martin Schulz zum Kanzler zu machen.

Der Kandidat trifft erst drei Stunden nach Beginn des Parteitags in der Halle ein. Die „Martin, Martin“-Rufe sind höflich, eher hoffend als gläubig. Schulz hält eine „Europa zuerst“-Rede. Er stellt seinen Vorstellung den Willy-Brandt-Satz „Wir wollen gute Nachbarn sein“ voran, lehnt die Steigerung der Rüstungsausgaben ab und verspricht einen leistungsfähigen Staat. Ob das in NRW wirklich zieht, werden Groschek und Schulze demnächst live erfahren: Sie wollen in der Rheinhausener Gaststätte „Kupferkanne“ das SPD-Klientel zurückerobern. Martin Schulz beendet seine Rede mit den Worten: „Auf in den Kampf!“

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