NRW-Justizminister: Urteil betrifft nur zwei Fälle Gespräch: Claus Haffert und Frank Christiansen

Düsseldorf. Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat nach den Worten des nordrhein- westfälischen Justizministers Thomas Kutschaty (SPD) zum ersten Mal die nachträgliche Sicherungsverwahrung als Ganzes infrage gestellt.

„Das ist das Neue an der Entscheidung. Bisher wurde nur die nachträgliche Entfristung als Verstoß gegen die Menschenrechte gewertet“, sagte Kutschaty im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

„Die Straßburger Entscheidung deckt sich mit dem, was der Gesetzgeber nun in Deutschland beschlossen hat. In Deutschland ist seit dem 1. Januar die nachträgliche Sicherungsverwahrung weitestgehend abgeschafft.“ In der Praxis betreffe das Urteil in NRW nur zwei der 133 Sicherungsverwahrten: einen in Aachen, einen in Werl.

„Die nachträgliche Sicherungsverwahrung wurde ohnehin nicht oft angeordnet. Sie ist häufiger beantragt worden, die Gerichte haben sie aber meistens abgelehnt“, sagte der SPD-Politiker. Weit größere Wirkung hat die nachträgliche Entfristung der Sicherungsverwahrung, die früher auf zehn Jahre begrenzt war. Von den 133 Sicherungsverwahrten müssen bis zum Jahr 2019 möglicherweise 51 als Folge der Straßburger Entscheidungen aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden.

Von den bisher aufgrund der neuen Rechtsprechung freigelassenen 16 Straftätern gelten sechs weiterhin als gefährlich. Unter Berücksichtigung dieser Relation geht Kutschaty davon aus, dass in diesem Zeitraum in Nordrhein-Westfalen bis zu 20 Freizulassende auf Grundlage des neuen Therapie- Unterbringungsgesetzes in eine neue Einrichtung eingewiesen werden. Mit der als Übergangslösung vorgesehenen Therapieeinrichtung für psychisch gestörte gefährliche Straftäter in Oberhausen „betritt Nordrhein-Westfalen - wie alle anderen Bundesländer auch - Neuland“, sagte Kutschaty.

„Da müssen wir sehen, wie sich das in der Praxis durchsetzt. Die Alternative dazu wäre die Bewachung durch die Polizei. Es ist aber keine gute Lösung, wenn 25 Polizisten im Einsatz sind, um eine Person rund um die Uhr zu überwachen. Das bietet zudem auch nicht den völligen Schutz. Deshalb ist die Unterbringung mit Therapie die sinnvollere Variante.“

Auch die elektronische Fußfessel sei kein Allheilmittel, um Straftaten zu verhindern. „Auch mit der Fußfessel am Bein kann ich eine Pistole in der Hand haben. Aber es hat eine abschreckende Wirkung auf den möglichen Täter, weil das Entdeckungsrisiko höher ist.“ Verbindliche Klärung erwartet Kutschaty von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung.

Am 8. Februar verhandelt das höchste deutsche Gericht über mehrere Fälle, darunter einen aus NRW. „Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher eine andere Auffassung. Es hat die nachträgliche Sicherungsverwahrung bisher als rechtmäßig anerkannt.“ Kutschaty: „Zu einer Variante der Sicherungsverwahrung hat Straßburg nichts gesagt - der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.

Das Gericht kann im Urteil festlegen, dass während der Haftzeit überprüft wird, ob der Verurteilte nach wie vor eine Gefahr darstellt und in Sicherungsverwahrung genommen werden muss.“ Diesen Entscheidungsspielraum hätten die Richter nach wie vor.

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