NRW-Landtag Laschets Regierungserklärung - Ein Tag der Abrechnungen

Auf die Regierungserklärung von Ministerpräsident Armin Laschet folgt die Gegenrede: Aus „Maß und Mitte“ wird bei der Opposition Mittelmaß, es beginnt ein Streit mit ganz neuen Rollen. Ein Überblick.

NRW-Landtag: Laschets Regierungserklärung - Ein Tag der Abrechnungen
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<h2>Wer waren in der gestrigen Debatte Laschets größter Kritiker?

Allen voran war das am Donnerstag SPD-Fraktionschef Norbert Römer, der mit einer engagierten Rede deutlich gemacht hat, dass er selbst offenbar viel weniger mit einem Abschied an der Fraktionsspitze beschäftigt ist, als mancher in der Partei das hoffen mag. Römer begann mit einem vergifteten „Glückwunsch für einen Überraschungssieg“ an Ministerpräsident Armin Laschet und endete mit der Aussicht, „nach dieser enttäuschenden Regierungserklärung“ ein „weites Feld“ zu erkennen, auf dem man nun um konkrete Lösungen ringen könne. Dazwischen machte er sich zum Beispiel über das jüngst bekannt gewordene erste Entfesselungspaket der neuen Regierung lustig: Laschet habe einen Tiger reiten wollen und nur ein Kätzchen gestreichelt, frotzelte Römer angesichts erster Maßnahmen wie die Abschaffung der Hygiene-Ampel und die Neuregelung von Öffnungszeiten am Sonntag.

 Neue Rollen am Donnerstag im Landtag: SPD-Fraktionschef Norbert Römer (r.) greift die Politik von Ministerpräsident Armin Laschet (l.) an.

Neue Rollen am Donnerstag im Landtag: SPD-Fraktionschef Norbert Römer (r.) greift die Politik von Ministerpräsident Armin Laschet (l.) an.

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Außerdem versuchte Römer, die Koalition als eine der sozialen Kälte darzustellen und die SPD als durchaus lebendigen Robin Hood zu stilisieren, der „an der Seite aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen“ wird, „deren Rechte durch eine ideologische Marktentfesselungspolitik bedroht sind“. Römer: „Kein Wort zur Sozialpolitik. Wollten Sie nicht oder konnten Sie sich nicht einigen? Wahrscheinlich beides.“ Sobald Laschet konkret werde, falle die „Tarnkappe vom Gesicht“. Und in Richtung Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) kritisierte er, ein Versprechen auf weniger Stau schon gebrochen zu haben. „So lange er sich dafür nicht entschuldigt, ist er für uns der Minister für Stau und Wortbruch in NRW.“

Zwischen CDU und SPD ging es überraschend wenig um die Bundestagswahl. Erkennbar war aber, dass jene, die im Bundestagswahlkampf noch Erhebliches zu erkämpfen haben, am Donnerstag die eingeräumte Redezeit für sich beanspruchten: Laschet hatte tags zuvor fast um eine halbe Stunde überzogen, das wirkt sich auch auf die Gegenrede aus.

Fraktionschef Arndt Klocke warb für die Grünen im Kampf mit Marcus Pretzell (AfD) und Christian Lindner (FDP) nicht nur um erste Akzente in neuer Rolle, sondern auch um die Bühne vor eben jener Bundestagswahl: die drei Parteien kämpfen im Bund um Platz drei hinter CDU und SPD und damit um eine kleine Richtungsentscheidung.

Dass Klocke Laschet vorwarf, in wichtigen Politikfeldern hätten sich die Freien Demokraten in NRW zu 100 Prozent durchgesetzt, war unfreiwillige Werbung für die Durchsetzungskraft des FDP-Chefs. Als Vorbild für den Bund wollte Klocke freilich keine Empfehlung aussprechen: „Die knapp 80 Tage Schwarz-Gelb in NRW sind keine Empfehlung für ein solches Modell im Bund.“ Laschet habe keinen Pioniergeist und keinen Mut, so der neue Fraktionschef der Grünen.

Pretzells Vortrag fehlte es etwas an Esprit. Angebote machte der AfD-Fraktionschef (Pretzell: „Wir sind doch Opposition und nicht Regierung“) weniger als Vorwürfe auf dem Feld der inneren Sicherheit: „139 neue Regierungsumbildungs-Stellen haben sie geschaffen und dagegen 300 für die gesamte Polizei in NRW — das lässt nichts Gutes erahnen“, schimpfte Pretzell und monierte auch die Finanzpolitik der neuen Regierung: Angesichts eines hohen Gesamtschuldenbergs von rund 143 Milliarden fehlten ihm Vorschläge für Einsparungen. Das sei wohl dem 24. September geschuldet, sagte Pretzell. Soll heißen: Erst nach der Bundestagswahl werde die neue Regierung die Karten offen legen.

Sie waren selten, die Momente der Einigkeit. Einen kurzen hat es dann doch gegeben, als Lindner sich aus dem Landtag verabschiedete. Egal, wie die Bundestagswahl ausgehe, sagte der FDP-Chef mit Ambitionen in Berlin womöglich auf ein Ministeramt, habe er seine letzte Rede im Landtag gehalten. Er sei qua Rolle nicht immer allen gerecht geworden, befand Lindner zum Schluss — und entschuldigte sich dafür. Nach versöhnlichen Worten des Landtagspräsidenten Oliver Keymis (Grüne) gab es gar warmen Applaus aus den Reihen der Opposition. Vorher hatte Lindner für ein Zitat des Tages gesorgt, als er angesichts des Vortrags von AfD-Politiker Pretzell resümierte: „Ich hätte das selbst nicht für möglich gehalten, aber ich vermisse schon jetzt die Piraten.“ Die Piraten hatten es über die jüngste Landtagswahl nicht mehr ins Parlament geschafft.

Erwartungsgemäß spielte die Opposition damit und machte aus „Maß und Mitte“, das Laschet angesichts der gewaltigen Umbrüche dieser Zeit am Tag zuvor vor allem in Fragen der Energiewende angemahnt hatte, das vermeintliche Regierungs-Ziel „Mittelmaß“.

Für Laschet sprangen CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen, Laschets Vize Joachim Stamp (FDP) und Lindner in die Bresche: Stamp betonte, das Ziel bleibe „die Spitze“: Ob das in fünf Jahren gelinge, sei eine spannende Frage: „Wir haben nach Kassensturz und Blick in die Häuser erkennen müssen, wie desolat die Lage wirklich ist“, ätzte Stamp und sprach von einem „Trümmerfeld“.

Lindner stellte klar: „Maß und Mitte heißt nicht Mittelmaß.“ Schwarz-Gelb habe den zugesagten Politikwechsel eingeleitet, jetzt seien neue und andere Ideen gefragt, der Wähler habe danach gefragt, sagte Lindner. Der alten Regierung attestierte er eine kuriose Wahrnehmung: „Rot-Grün hat wohl alles richtig gemacht, nur der Wähler hat sich geirrt.“

Im Bereich von Klima- und Energiepolitik haben die Grünen erhebliche Zweifel, ob die Ziele noch eingehalten werden können, ebenso im sozialen Wohnungsbau, wo „Ideologie vor Sachverstand und Notwendigkeit“ gehe. Klocke sprach von „neoliberaler Deregulierung.“ Die SPD befürchtet Kahlschläge bei Thyssen Krupp: Die Zustimmung der Regierung zur Fusion des Stahlkonzerns mit dem indischen Mischkonzern Tata sei gegen die Betriebsräte erfolgt. Und: Alle Oppositionsparteien hegen Zweifel, ob die Regierung den Erfordernissen der Digitalisierung gewachsen ist. Auf diesem Gebiet seien erfolgreiche Projekte kurzerhand zerschlagen worden, stellte Klocke dar. „Auch da verspielen sie leichtfertig Zukunft. Ihre Politik ist von gestern.“

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