Kritik: Kampf gegen Formular-Flut

Ein Firmenchef wirft dem Land Versagen beim Bürokratieabbau vor. Er muss immer mehr Statistiken abliefern.

Velbert. Wolfgang Schmahl trägt das Herz auf der Zunge. Er sagt, was er denkt, und er tut, was er sagt. Das macht ihn berechenbar, und wahrscheinlich hat es ihn auch so erfolgreich gemacht. Schmahl ist Unternehmer. Seine von ihm selbst 1969 als Einmannbetrieb gegründete Zahnradfabrik Neviges (ZN) genießt europaweit einen blendenden Ruf.

In diesen Wochen gehen die Geschäfte zwar mau. "Aber 1993 war es viel schlimmer", sagt der 65 Jahre alte Unternehmer. Damals sei der Wiedervereinigungs-Boom zu Ende gegangen und die Auftragslage dadurch dramatisch eingebrochen.

Schmahl hat seine Fabrik vor 16 Jahren durch das Tal geführt. Und er ist wild entschlossen, das auch diesmal zu tun. "Ich habe hier mehr als 100 Leute beschäftigt. Denen bin ich das schuldig", sagt er. Und dann holt Wolfgang Schmahl den Ordner hervor, dessen Inhalt ihm sein Unternehmertum in Deutschland mehr und mehr verleidet. "Statistiken, Statistiken, Statistiken", schimpft er und blättert durch den gehefteten Papierstapel.

Seit zwei Jahren kämpft der Nevigeser einen anscheinend aussichtslosen Kampf gegen die Pflicht, regelmäßig Zahlen an den Landesbetrieb Information und Technik (IT.NRW) zu melden. So heißt das Landesamt für Statistik heute. Für die Unternehmer hat sich durch den Namenswechsel nichts verändert, zumindest nicht zum Positiven. "Wir müssen noch mehr Formulare ausfüllen als vorher", klagt Schmahl.

Tatsächlich ist die Zahl der Statistiken in diesem Jahr noch einmal gestiegen. Nun müssen Betriebe des verarbeitenden Gewerbes mit mehr als 50 Beschäftigten, also auch ZN, zusätzlich noch Angaben darüber machen, wie sie die Energie verwenden. "Aber nur alle drei bis fünf Jahre", erklärt Leo Krüll von IT.NRW. Dass es auch ohne die Energiefrage immer noch 16 Statistiken sind, die Unternehmen Jahr für Jahr monatlich oder vierteljährlich bedienen müssen, verschweigt er nicht.

"Die Daten sind unter anderem Grundlage für die Entscheidung von Politikern. Wir erheben sie aber für jeden. Wer will, kann sie jederzeit auf unserer Internetseite it.nrw.de einsehen", sagt er. Eine Studie des Institutes für Wirtschaftsförderung habe vor drei Jahren ergeben, dass es die Unternehmen im Durchschnitt 12,7Arbeitsstunden pro Jahr kostet, der Berichtspflicht an die Statistikämter nachzukommen.

Darüber kann Wolfgang Schmahl inzwischen nicht einmal mehr schmunzeln. Ihm gehen die ewigen Zahlenreihen zu sehr über die Hutschnur. Seinen Aufwand beziffert er auf "zehn Stunden pro Monat, mindestens". Zeit, die ihm fehlt, seiner eigentlichen Arbeit nachzukommen. "Von Statistiken kann NRW nicht leben. Gerade jetzt brauchen Unternehmer ihre ganze Kraft, um Arbeitsplätze zu erhalten."

Deshalb und weil er die meisten Statistiken ohnehin für überflüssig hält, hat er der Landesbehörde mitgeteilt, dass er nicht länger bereit sei, die Zahlenwerke abzuliefern. Die Antwort folgte prompt. Das Amt droht mit Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 5000 Euro. Bußgeldbescheide über insgesamt 600 Euro hat Schmahl bisher auf seine Art beantwortet. "200 Euro habe ich bezahlt und auf die Überweisung geschreiben: ist genug."

Das sieht die Behörde freilich anders. Aber einiges spricht dafür, dass sie sich an Wolfgang Schmahl die Zähne ausbeißt. Zumindest wird sie an der Zusammenarbeit mit ihm keine Freude haben. "Hier wird immer nur über Bürokratiabbau geredet. Getan wird nichts", sagt er und droht, den Hauptsitz seiner Firma nach Österreich zu verlegen. "Dort kommen sie mit einer oder zwei Statistiken im Jahr aus."

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