Interview "Keine einzige Sympathie-<br>bekundung für große Koalition"

Norbert Römer, Fraktionsvorsitzender der NRW-SPD, spricht im Interview über die GroKo-Verhandlungen, über Martin Schulz und die Zukunft der SPD in NRW.

Interview: "Keine einzige Sympathie-&lt;br&gt;bekundung für große Koalition"
Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Herr Römer, wie steht die SPD in NRW zum Thema einer möglichen Neuauflage der großen Koalition im Bund?

 Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Norbert Römer im Interview

Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Norbert Römer im Interview

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Norbert Römer: Es gibt ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Bundeskanzlerin und der Unionsfraktion. Die sind nicht vertragstreu. Die haben die Solidarrente oder das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit nicht mit uns gemacht im Bundestag. Es wäre eine vertrauensbildende Maßnahme, wenn Frau Merkel das jetzt einleiten würde. Und was der bis dato völlig unbekannte Landwirtschaftsminister sich da in der Glyphosat-Affäre geleistet hat, ist Vertragsbruch mit Ansage.

Trotzdem haben Sie die Gespräche aufgenommen.

Römer: Wir haben auf dem Parteitag ja auch auf Initiative von Nordrhein-Westfalen festgelegt, dass wir Gespräche führen und die an diesem Freitag bewerten. Ich gehe davon aus, dass wir dann Sondierungsgespräche aufnehmen werden. Zusätzlich haben wir die für uns wesentlichen Kernpunkte herausgestellt. Anhand derer wird ein Parteitag bewerten, ob es Sinn macht, von Sondierungen zu Koalitionsverhandlungen zu kommen. Wir aus NRW haben dafür gesorgt, dass das ein Parteitag und nicht ein Parteikonvent hinterfragt. Ich verrate kein Geheimnis, dass es hier in der NRW-Landtagsfraktion keine einzige Sympathiebekundung für eine große Koalition gibt.

Wie könnte eine Tolerierung einer Minderheits-Regierung aussehen?

Römer: Wir haben verabredet, dass wir ergebnisoffen, aber nicht ziellos in Gespräche gehen. Dann gilt: Wenn man ergebnisoffene Gespräche führen will, dann kann man kein Ergebnis vorweg nehmen. Aber: Ich bin sehr skeptisch, dass die Kernpunkte die wir formuliert haben, tatsächlich von der Union mitgetragen würden.

Welche Kernpunkte sind das?

Römer: Wir müssen bei der Krankenversicherung eine paritätische Finanzierung hinbekommen und die Zwei-Klassen-Medizin abschaffen. Es macht keinen Sinn, dass wir Arztpraxen mit Wartezimmern für Kassenpatienten und Durchgangszimmer für privat Versicherte haben. Sachgrundlose Befristungen müssen weg, Leih- und Zeitarbeit muss zurückgedrängt werden. Und: Wir müssen mit Blick auf Macron eine Antwort geben. Es ist an der Zeit, dass wir von Deutschland aus für soziale Sicherheit und Stabilität in Europa sorgen, etwa mit einer Arbeitslosenversicherung, die europaweit gilt. Auch Lohndumping und Steueroasen wollen wir in Europa bekämpfen.

Brauchen wir einen europäischen Finanzminister und müssen auch mehr Geld für europäische Zusammenarbeit ausgeben?

Römer: Deutschland profitiert am meisten von Europa. Willy Brandt hat gesagt: Gute Nachbarschaft im Innern und außen ist die Voraussetzung dafür, dass wir friedlich miteinander leben können. Zweitens: Mehr als zwei Drittel dessen, was wir an Gütern, Waren und Dienstleistungen herstellen, verkaufen wir unseren Nachbarn. Je besser es denen geht, umso besser geht es uns.

Die CDU hält es für nicht ratsam, mit einem Bündel an Forderungen in Koalitionsgespräche einzusteigen. Wollen Sie zu viel?

Römer: Es sind nicht viele Maßnahmen, sondern echte Kernpunkte, die für uns elementar sind. Ich rate der Kanzlerin, sich nicht auf ein hohes Ross zu begeben. Die haben Jamaika krachend vor die Wand gefahren. Deswegen sollten sie vorsichtig sein, maßregelnd auf uns einwirken zu wollen. Ich bin durchaus gespannt, wie sich die Union verhalten wird.

Was raten Sie SPD-Parteichef Martin Schulz für die Verhandlungen?

Römer: Martin Schulz weiß, was wir verabredet haben, weil er den Parteitagsbeschluss mitgeprägt hat. Wir machen das an Inhalten fest. Über Taktiererei muss man mit uns nicht reden.

Hat der Parteitag in Berlin Schulz bestärkt?

Römer: Wir haben auf dem Parteitag gemerkt, dass es innerhalb der eigenen Partei ein gewisses Misstrauen im Hinblick auf unsere Führung und die anstehenden Gespräche gab. Wir wollten das Misstrauen abbauen. Die Entscheidung für einen Parteitag, der am Ende über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen entscheidet, hat zur großen Zustimmung des Leitantrags geführt. Das sichert eine breite Beteiligung der Partei. Das haben wir aus NRW durchgesetzt, es kommt auf die NRW-SPD auch im weiteren Verfahren an.

Wolfgang Clement sagte, der Weg, den die SPD derzeit für die Groko vorbereite, zeige nichts anderes als politische Führungslosigkeit.

Römer: Das sehe ich anders. Meine Partei hat keinen Nachhilfeunterricht in Sachen staatspolitischer Verantwortung nötig. Das haben wir in 154 Jahren unseres Bestehens bewiesen. Deshalb braucht es auch eine Abfolge, wie Gespräche geführt werden können. Wir koppeln das immer wieder zurück an unsere Partei. Das ist transparent, nachvollziehbar und verantwortungsvoll. Andere stehen auf dem Balkon und scheitern nach wochenlangem Schauspiel.

Haben Sie Angst vor Neuwahlen?

Römer: Nein, bis dahin ist es aber ein langer Weg. Dem dienen ja auch die jetzigen Gespräche. Viele haben kritisiert, dass Parteien nicht mehr unterscheidbar seien. Jetzt kann man nochmal klar machen, wo die Unterschiede liegen.

Muss die SPD weiter nach links rücken, um wieder als SPD erkennbar zu sein?

Römer: Das ist keine Frage von links und rechts. Krankenversicherung, Rente — das hat mit dem Lebensalltag der Menschen zu tun und deren Gefühl, dass Politik ihren Ansprüchen nicht mehr gerecht geworden ist.

Ist eine große Koalition denkbar mit einem Minister Schulz?

Römer: Wir reden nicht über Personal, die Inhalte werden entscheidend sein. Können wir den Menschen helfen? Mein Eindruck ist, dass diese Kehrtwende hin zu völligem Politikwechsel und keinem „Weiter so“ bei der Union kaum möglich ist. Ich lasse mich da gerne überraschen.

Wäre Martin Schulz bei einer Neuwahl 2018 Kanzlerkandidat der SPD?

Römer: Das entscheiden wir, wenn es soweit ist.

Sie sind in Mai in NRW abgelöst worden, Schwarz-Gelb hat übernommen. Wie bewerten Sie die neue Regierung?

Römer: Die sind unter ihren eigenen Wahlversprechen zusammengebrochen. Das ist eine Koalition der gebrochenen Versprechen. Jetzt beginnen sie auch noch, sich vehement zu bekämpfen. Was ich über die Rolle von Laschet und Lindner bei den Jamaika-Gesprächen höre, lässt ja nicht auf gute Zusammenarbeit schließen. Die Landesregierung setzt da wieder an, wo die erste schwarz-gelbe abgelöst werden musste. Das ist eine Regierung der sozialen Kälte. Die Landesregierung hat sich bis auf die Knochen blamiert: Laschet und sein Minister Pinkwart hatten zu einem Stahlgipfel eingeladen, ohne dass die Frage von Thyssenkrupp-Stahl und der von denen beabsichtigten Fusion mit Tata auf der Tagesordnung stehen sollte. Unfassbar. Zu Recht hat die IG Metall abgesagt, der Stahlgipfel ist geplatzt. Das ist in der Industriegeschichte Nordrhein-Westfalens eine einmalige Blamage. Laschet ist unfähig, die Interessen der Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen zu vertreten.

Was kann Politik in Sachen Stahl tun?

Römer: Das, was hier Tradition hat: Die Akteure, die Verantwortung haben, zusammen zu holen. Als es seinerzeit um die Fusion von Thyssen und Krupp-Hoesch ging, hatte der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement mehrere Tage lang alle zusammengeholt, um zu einer vernünftigen Übereinkunft in der Weise zu kommen, dass die Arbeitnehmer nicht mehr protestieren mussten. Das ist die Aufgabe von Politik: zusammen zu führen und Interessen auszugleichen. Laschet sagt, das sei Angelegenheit des Unternehmens. Und Pinkwart sagt: Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht. So macht Politik den Eindruck, als wolle sie nicht gestalten.

Herr Römer, Sie sind Fraktionschef auf Zeit. Wie wird in der Landtagsfraktion der Übergang organisiert?

Römer: Es ist in unserer Geschäftsordnung im Mai dieses Jahres festgelegt worden, dass ein Jahr nach meiner Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden der geschäftsführende Fraktionsvorstand und der Vorsitz neu gewählt werden. Der Zeitpunkt ist im Mai, spätestens Juni 2018 gekommen. Dann stehe ich auch nicht mehr zur Verfügung.

Ziehen Sie sich dann aus der Politik zurück?

Römer: Nein. Ich stehe dann nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zur Verfügung.

Als Nachfolgekandidaten werden Thomas Kutschaty, Marc Herter, Martin Börschel oder Sarah Philipp gehandelt. Wer wird es?

Römer: Vielleicht auch noch andere. Das macht ja nur deutlich, dass wir in unserer Fraktion ein sehr gutes Personalangebot haben. Ich bin nicht bange, dass es eine gute Nachfolgeregelung geben wird.

Wird ihnen der Abschied schwer fallen?

Römer: Ich habe den Job dann acht Jahre lang gemacht, das ist eine lange Zeit. Wir haben viel Gutes für die Menschen hier im Land erreichen können. Da fällt es mir überhaupt nicht schwer, jetzt zu sagen: Jetzt sind auch mal andere dran.

Ist es nicht sinnvoll, dass Fraktionsvorsitz und Parteivorsitz in NRW bald wieder in einer Hand liegen?

Römer: Da gibt es keinen Königsweg. Eine Trennung ist in Zeiten wie jetzt eine gute Lösung: Michael Groschek kümmert sich vor allem um den Neuaufbau der Partei. Ich organisiere hier in der Fraktion den Übergang. Ich sehe ja auch, dass die Ämter den ganzen Mann oder die ganze Frau erfordern. Ich bin froh, dass Groschek das macht. Ob sich das ändert, wenn im Mai oder Juni 2018 die Fraktion und der Landesparteitag im September wählen, wird man sehen.

Wie lange wird Groschek noch als Parteichef zur Verfügung stehen?

Römer: Michael Groschek ist zehn Jahre jünger als ich (lacht).

In der Landes-SPD ist nach der harten Wahlniederlage ein Nachdenkprozess gestartet worden. Sind Sie heute klüger?

Römer: Wir sind nicht durchgedrungen mit dem, was wir noch hätten machen wollen. Wir haben uns nur rechtfertigen müssen, das hat die Menschen nicht mehr überzeugt. Sie hatten kein Zutrauen mehr in unsere politische Gestaltungskraft. 150 000 Stimmen haben am Ende den Ausschlag gegeben. Das ärgert mich heute noch.

Ist die SPD-App künftig wichtiger als der Ortsverein?

Römer: Das Gespräch im Ortsverein wird am Ende den Ausschlag geben. Auf beides kommt es an. Wir müssen kommunikativ auf Höhe der Zeit sein, aber auch verwurzelt sein bei den Menschen. In Kirchen, Initiativen, Gewerkschaften. Da haben wir Versäumnisse aufzuarbeiten. Wir sind insbesondere im Ruhrgebiet nicht mehr so verästelt, wie es angemessen wäre.

Wie fühlt sich Oppositionsarbeit an. Gibt es eine Empfehlung an die Bundes-SPD oder ist Opposition Mist?

Römer: Wir sind relativ schnell in NRW in unsere Rolle gekommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die gebrochenen Wahlversprechen und die falschen Personalentscheidungen Laschets Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden sind. Laschet ist derjenige geblieben, den wir aus der Oppositionszeit kennen. Er ist ohne Kompass, ohne klaren Kurs, er wackelt hin und her. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass ein Ministerpräsident bei Personalentscheidungen so eklatant versagt, wie er das gemacht hat. Er hat kein Gespür für das, was sich nicht gehört: einen Medienunternehmer zum Medienminister zu machen. Eine Lobbyistin der alteingesessenen Agrarwirtschaft zur Landwirtschaftsministerin zu ernennen; mit Herbert Reul jemanden zum Innenminister zu machen, der herumtapst und sich offensichtlich nicht gefunden hat; die groß angekündigte Bosbach-Kommission nicht zu installieren; den Top-Lobbyisten Friedrich Merz an Bord zu holen - das alles macht es der Opposition leichter, die Regierung zu stellen. Es bleibt eine Koalition, die Privat vor Staat auf ihre Fahnen geschrieben hat, die eine profane Mitte-Rechts-Koalition ist und die soziale Kälte ausstrahlt. Das werden die Menschen merken.

(In einer früheren Version dieses Interviews waren Äußerungen von Herrn Römer über den Stahlgipfel abgebildet. Da dieser nun nicht stattfindet, wurden diese Passagen abgeändert.)

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