Heinos „Heimat“ ohne Historie Heino und sein Geschäft mit problematischem Liedgut

Mit seinem vergifteten Geschenk hat Heino deutlich gemacht, dass er als „Heimatbotschafter“ nicht taugt. Die Ministerin hält dennoch an ihm fest.

Heinos „Heimat“ ohne Historie: Heino und sein Geschäft mit problematischem Liedgut
Foto: dpa

Münster/Düsseldorf. Nachdem Heino die NRW-Landesregierung mit seiner Idee, Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) zum NRW-Heimatkongress eine alte Doppel-LP mit den „schönsten deutschen Heimat- und Vaterlandsliedern“ zu schenken, in die Bredouille gebracht hat, trug der 79-jährige Sänger die gleiche Entschuldigung vor, die er seit Jahrzehnten für sein Geschäft mit problematischem Liedgut parat hat. Diesmal via „Bild“ erklärte der Düsseldorfer: „Die Lieder können doch nichts dafür, wenn sie instrumentalisiert worden sind.“

 „Die Lieder können ja nichts dafür“: Anke Engelke (links) als Zehnjährige im Kinderchor der von Heino um den schwulen Kontext bereinigten Version von „Jenseits des Tales“. Screenshot: You Tube

„Die Lieder können ja nichts dafür“: Anke Engelke (links) als Zehnjährige im Kinderchor der von Heino um den schwulen Kontext bereinigten Version von „Jenseits des Tales“. Screenshot: You Tube

Die Lieder nicht, Heino schon. Wie kein anderer bediene er mit solchen Statements „die Sehnsucht nach historischer Kontextlosigkeit“, schrieb die „Zeit“ zu seinem 75. Geburtstag: „Bei Heino gab es kein angestautes Verdrängen, munter durfte weitergeschunkelt werden, als sei nichts gewesen.“ Gestimmt hat es von Anfang an nicht. Gleich von seinem ersten Hit an hat Heino eine Meisterschaft darin entwickelt, den historischen Kontext durch absichtliche Textänderungen und Auslassung zu verleugnen.

Heinos erster Hit, nachdem er 1965 mit seiner Band bei einer Modenschau in Quakenbrück von Ralf Bendix entdeckt wurde, war das seit den 20er Jahren in der bündischen Jugendbewegung und später auch bei der Hitlerjugend beliebte Lied „Jenseits des Tales“. Im Internet, das bekanntlich nichts vergisst, hat sich eine TV-Aufnahme von 1975 erhalten, in der Heino seine Version des Liedes mit einem Kölner Kinderchor singt. Prominentestes Mitglied: die damals zehnjährige Anke Engelke.

Der Liedtext, in dem von einem mittelalterlichen Heerlager, Pferden und „Reiterbuben“ erzählt wird, dreht sich um einen unglücklichen jungen König. Der steht mit glühender Stirn am anderen Ufer, und auch die kühle Erde macht sein „krankes Herz“ nicht gesund.

Die beiden folgenden Strophen ließ Heino aus. Ihr Text lautet: „Ihn heilten nur zwei knabenfrische Wangen / Und nur ein Mund, den er sich selbst verbot. / Noch fester schloss der König seine Lippen / Und sah hinüber in das Abendrot. / Jenseits des Tales standen ihre Zelte, / Zum roten Abendhimmel quoll der Rauch. / Und war ein Lachen in dem ganzen Heere / Und jener Reiterbube lachte auch.“

Der Text, den Börries von Münchhausen (1874— 1945) bereits 1907 schrieb, und der sich völlig unmissverständlich auf die angeblich homosexuelle und pädophile Neigung des letzten Staufer-Königs Konradin (1252—1268) bezog, wurde 1933 in einem von NSDAP-Reichsjugendführer Baldur von Schirach herausgegebenen Liederbuch mit dem Titel „Blut und Ehre. Lieder der Hitlerjugend“ entschärft.

Von Schirach, der selbst mit Gerüchten über angebliche Homosexualität und Pädophilie zu kämpfen hatte, machte aus den „knabenfrischen“ zwei „jugendfrische“ Wangen. Und aus der Schlusszeile „Und jener Reiterbube lachte auch“ wurde „und ihre Reiterbuben lachten auch“.

Heinos Version, die den verfänglichen Text komplett wegließ, wurde in den 60er Jahren mehr als 100.000 mal verkauft. 2014 nahm der Sänger das Lied für sein Volksmusik-Metal-Album „Schwarz blüht der Enzian“ noch einmal auf — und dichtete in einem reichlich wirren und komplett zerstörten Text nun dem jungen König ein Techtelmechtel mit einer Marketenderin an. Denn in einem Heino-Text küssen schwule Könige natürlich keine Reiterbuben.

Das alles ist kein Geheimwissen, weshalb die SPD in dieser Woche völlig zurecht fragte, wieso Scharrenbach eigentlich ausgerechnet Heino als „Heimatbotschafter“ ins Schaufenster stellte. Noch setzt Ministerin Scharrenbach jedoch offenbar auf das Prinzip „Augen zu und durch“. Dem „Bonner Generalanzeiger“ sagte sie am Freitag: „Hier hat ein Künstler einer Ministerin ein Geschenk mitgebracht, und das ist es.“ Heino habe sich angemeldet und sei willkommen gewesen. „Wenn es da ein Interesse gibt, irgendeine Person zu beschädigen, dann nehme ich das zur Kenntnis. Heino macht seit vielen Jahrzehnten Musik — und ist bei vielen Bürgern beliebt.“

Dass Ina Scharrenbach unwillig oder unfähig ist, dem absichtlich undefinierten Heimatbegriff ihres Ministeriums wenigstens eine Grenze zum enthistorisierenden Musik-Missbrauch zu ziehen, zeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem ihr Geschäftsbereich „Heimat“ steht. Denn anders als das von Horst Seehofer erfundene bayerische Heimatministerium, das konkrete Struktur- und Förderprojekte im ländlichen Raum hervorgebracht hat, fällt Scharrenbachs „Heimat“-Bilanz ein knappes Jahr nach der NRW-Landtagswahl reichlich dürftig aus: Eine Tour über Land, ein Heimat-Kongress, ein angekündigtes Programm von 113 Millionen Euro zur Förderung des Heimat-Wohlgefühls.

Noch hält die FDP als Koalitionspartner dabei still. Was Parteichef Christian Lindner von einer Sauerkraut-Leitkultur hält, hat er jedoch bereits hinreichend deutlich gemacht.

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