Hannelore Kraft - Die Landesmutter in der Wohlfühlzone

Hannelore Kraft (SPD) will das Amt der Ministerpräsidentin verteidigen. Sie gibt sich als die authentische Frau aus dem Volk.

Düsseldorf. Wahlkampf ist heute keine einfache Sache, das Politikinteresse eher mau. Auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat da zu kämpfen. Sie setzt ihren rauen Ruhrgebietscharme ein, nimmt einen Strauß Rosen in die Hand — und schon geht es ran an den Bürger.

Beispiel Bünde: In dem beschaulichen 45 000-Einwohner-Örtchen in Ostwestfalen betritt sie zunächst das Geschäft „Twisty — Mode, die Laune macht“, drückt zwei verdutzten Verkäuferinnen je eine Blume in die Hand.

Die erkennen sie sofort: „Das ist doch die Hannelore.“ Als die Politikerin weiter muss, diskutieren beide ihren Höhepunkt des Tages: „Nein, was für eine nette Frau.“

Vor einem Betonbau aus den 70ern — hier sind „Woolworth“ und „C & A“ Nachbarn — ist eine kleine Bühne aufgebaut, rund 50, meist ältere Ostwestfalen haben sich versammelt, man trägt Windjacke. Kraft wirbt ohne Mikro für ihre Politik, erntet Applaus für die Abschaffung der Studiengebühren („Davon haben Ihre Enkel was“) und verteidigt ihre Finanzpolitik.

Doch auf der Bühne hält sie es nur kurz aus, schnell sucht sie wieder den Kontakt zum Wähler. Dabei beweist sie auch ein bisschen Selbstironie: „Ich sehe nicht ganz so gut aus wie auf den Plakaten. Das ist normal“ und kommt immer rasch ins Gespräch — wenn die Leute stehen bleiben.

Denn das macht längst nicht jeder, die Zeiten, als die Massen strömten, sind vorbei. Wahlkampf ist heute eine Bringschuld, das gilt auch für die Ministerpräsidentin Kraft.

Es ist ihr zweiter Wahlkampf, vor zwei Jahren war sie Außenseiterin, nun ist sie Titelverteidigerin. Was hat sich geändert? „Die Leute sind offener und erkennen mich sofort. Und sie haben oft konkrete Anliegen“, sagt Kraft. Das macht sie gerne: Kraft, die Kümmerin.

Hier mischen sich ihr tatsächlicher Charakter und die Inszenierung: Authentizität ist der zentrale Begriff dabei, sie soll als gradlinige Frau herüberkommen. Es ist eine erstaunliche Entwicklung, die Hannelore Kraft dabei in den vergangenen zehn Jahren genommen hat.

Sie war Seiteneinsteigerin, als Wolfgang Clement sie einst zur Ministerin machte. Sie wurde 2005 die neue starke Frau in der SPD, weil nach der krachenden Niederlage bei der Landtagswahl ein Generationswechsel anstand. Und in die Landtagswahl 2010 ging sie als nahezu Chancenlose, auf die in der Berliner SPD-Zentrale nur sehr wenige wetten wollten.

Heute beschreiben sie Berliner Medien ganz selbstverständlich als Landesmutter, schon wird sie Hannelore Rau genannt. Und tatsächlich gibt es Parallelen im Politikstil: Kraft verbreitet eine politische Wohlfühlzone („Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“), vermeidet jede Zumutung für den Bürger, gibt sich herzlich und volksnah.

Doch gibt es markante Unterschiede: das Gleichsetzen von Partei und Staat, das am Ende der Ära Rau an vielen Stellen Filz war, ist ihr fremd. Überhaupt ist sie eine zwar offen wirkende, im Kern aber sehr auf einen sehr überschaubaren Beraterkreis fokussierte Politikerin.

So betont zwar Sylvia Löhrmann, als Chef-Grüne und Schulministerin ihre Stellvertreterin als Ministerpräsidentin, die sehr gute Arbeitsatmosphäre, sagt aber auch: „Freundinnen sind wir nicht.“ In der Politik zählen ihr Regierungssprecher Thomas Breustedt, ihre Büroleiterin Julia Sudmann und Staatskanzleichef Franz-Josef Lersch-Mense zu ihren Beratern — alle anderen erleben eine Chefin, die auch schon mal laut werden kann. Da ist sie rau, aber nicht immer herzlich.

Ihr Privatleben mit Mann Udo und Sohn Jan schirmt sie weitgehend ab. Die regelmäßigen Urlaube in einem Sauerländer Sporthotel sind wenig spektakulär, die jüngste zweiwöchige Flugreise nach Neuseeland war ein exotischer Ausreißer.

Es war ein weiter Weg der Hannelore Kraft, geborene Külzhammer, Kind eines Arbeiterhaushaltes, aufgewachsen in Mülheim-Dümpten, bis in die Staatskanzlei. Woher sie kommt, weiß sie. Ihr Weg muss aber noch lange nicht zu Ende sein.

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