Reker-Attentat Frank S.: „Ich bin ein wertkonservativer Rebell“

Beim ersten Prozesstag um das Attentat auf die spätere Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker gibt sich der Angeklagte gesprächig. Sein Verteidiger haut gleich zu Beginn auf die Pauke.

Düsseldorf. Mit einem provokativen Paukenschlag zeigt Christof Misere, einer der Verteidiger von Frank S., gleich zu Beginn des Prozesses um das Attentat auf Henriette Reker vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht, in welche Richtung seine Verteidigungsstrategie geht: Nach Verlesung der Anklage (s. Infokasten), erklärt er, dass diese juristisch nicht haltbar sei und gibt dann noch einen drauf, indem er sagt, dass dem Verfahren „eine politische Ausrichtung innewohnt“.

Punkt eins — die juristische Bewertung — begründet er so: sein Mandant habe keinen Mordversuch unternommen, Misere hält gar „die Annahme eines Tötungsdelikts für nahezu fernliegend“. Der Angriff sei eine gefährliche Körperverletzung gewesen, denn: Nach dem Stich in den Hals hätte sein Mandant „weiterhandeln können, es wäre ihm ein Leichtes gewesen, dieses final zu bewerkstelligen“.

Mit diesem angesichts der Attacke mit dem 30 cm langen Messer auf den Hals des Opfers schon schwer nachvollziehbaren Satz will er sagen: Mein Mandant wollte sie nicht töten. Es gehe um einen Rücktritt vom Versuch. Dann schiebt er noch diesen Satz hinterher: „Handelte es sich nicht um eine Politikerin in einer gehobenen Position, dann wäre das Mordmerkmal gar nicht thematisiert worden.“

Da ist der Anwalt dann auch schnell beim bösen Wort vom „politischen Prozess“. Zwar betont er, es gebe keine Entschuldigung oder Rechtfertigung der Tat, doch dann kommt so etwas, was so klingt, als könne man Verständnis für die lebensgefährliche Attacke haben. Der Verteidiger sagt doch tatsächlich diesen Satz: „Die Tat fiel in einen Zeitraum, wo für viele Bürger mit Blick auf die Flüchtlingsproblematik die Meinungsfreiheit eingeschränkt schien“. Eine freie Diskussion habe es doch erst nach der Kölner Silvesternacht gegeben.

Und vorher? Konnte man sich da nur anders behelfen, weil die Meinungsfreiheit angeblich eingeschränkt war? Auf solch starken Tobak geht die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza nicht ein, verwahrt sich aber gegen den Vorwurf, hier werde ein politischer Prozess geführt. Und auch Oberstaatsanwalt Lars Otte betont in einer Verhandlungspause vor Journalisten auch noch mal, warum es zwar kein politischer Prozess sei, wohl aber politische Motive des Angeklagten eine Rolle spielen können. Sollte es zu einer Verurteilung wegen Mordversuchs kommen, könnte eine politische Motivation bei der Frage, ob die Strafe auf „lebenslang“ laute oder ob das Strafmaß vermindert werde, durchaus eine Rolle spielen.

Um den politischen Hintergrund geht es dann auch in der mehrstündigen Vernehmung des Angeklagten zur Person. Der 44-Jährige Mann mit Bart und Stirnglatze spricht klar und gibt sich keineswegs eingeschüchtert vom großen Rahmen dieses Prozesses im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts, den neben den etwa 60 Journalisten nur wenige Zuschauer verfolgen. Dass Henriette Reker selbst nicht anwesend ist — sie soll erst am 29. April als Zeugin aussagen — macht einen forschen Auftritt wohl leichter.

Dass Frank S. beste Voraussetzungen hatte, vom rechten Weg abzukommen, zeigt die Schilderung seiner Jugend: mit vier, fünf oder sechs Jahren (genau weiß er das nicht) geben ihn seine leiblichen Eltern an Pflegeeltern ab. Dass sein leiblicher Vater tot ist, erfährt er erst aus den Gerichtsakten. Von seiner leiblichen Mutter hat er nur die Erinnerung, dass sie mal mit ihm im Wildpark war und dass sie eine Frisur wie Amy Winehouse hatte.

Die Pflegeeltern hätten ihr Projekt mit vier leiblichen und sechs Pflegekindern wie eine Firma betrieben. „Gab es mit 18 Jahren kein Geld mehr vom Staat fürs Pflegekind, hieß es Auf Wiedersehn.“ Er wurde rausgeworfen. Der Pflegevater habe „mittelalterliche Erziehungsmethoden“ gehabt. Frank S. lernte Maler, die Gesellenprüfung machte er aber nicht. Dazwischen kam ihm eine knapp dreijährige Haftstrafe. Mehrere Verurteilungen wegen Schlägereien, Körperverletzungen. Er habe sich gewehrt, als er von Schlägertrupps etwa der Antifa (Antifaschistische Aktion) angegriffen worden sei. Die anderen seien aber nie bestraft worden.

Ob solche Angriffe mit seinem Verhalten, seinem Zugehören zur rechten Szene zusammenhingen, will die Richterin wissen. Sie versucht, aus ihm herauszukitzeln, welche Einstellung damals hinter seiner Gruppe mit dem Namen „Berserker Bonn“ stand, den er sich auch auf seinen Körper tätowieren ließ. Er weicht aus. Organisierten Neonazis wie der später verbotenen Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands will er nicht nahe gestanden haben.

Richterin Havliza bohrt weiter. Welche Ideen er und seine Berserker-Truppe denn gehabt hätten. Frank S. sagt, es sei um den Freiheitsgedanken gegangen, „so ’ne Art Bürgerwehr.“ Er habe „jeden ausländischen Mitbürger respektvoll behandelt, wenn er mich nicht angegriffen oder beleidigt hat.“ Er sei nie Nazi gewesen, sondern ein „wertkonservativer Rebell“.

Dann kommt das Gespräch auf die Jahre 2013 bis 2015, vor dem aktuellen Tatgeschehen. Die Richterin, der er ein zweifelhaftes Kompliment macht („Sie nehmen mich gut in die Zange, das muss ich zugeben“), versucht mühselig herauszufinden, was Frank S. trieb, was er tat in den zwei Jahren seiner Arbeitslosigkeit. Ob er seine Gedanken, die er im Internet und im Fernsehen aufnahm, mit irgendwem diskutierte. „Was hatten Sie für eine politische Meinung“, will sie wissen? Sie verzweifelt fast, als er wieder davon anfängt, er sei ein wertkonservativer Rebell.

Und dann gehen doch noch die Pferde mit ihm durch, seine Verteidiger können ihn nicht stoppen, als er plötzlich aufs Tatmotiv kommt. Er spricht es nicht aus, doch es geht um die Flüchtlingspolitik. Er werde später noch ausführlich seine Beweggründe darlegen, wolle aber jetzt schon sagen: „Für mich war es millionenfacher Rechtsbruch, das werde ich belegen. Das hat sich gegen eine verfehlte Politik gerichtet.“

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