Fall Sami A.: Stamp will bis an die Grenze des Rechtsstaats gehen

Die umstrittene Abschiebung von Sami A. bringt NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp unter Druck. Das Oberverwaltungsgericht Münster wird entscheiden, ob die Grenzen des Rechtsstaats verletzt wurden.

Fall Sami A.: Stamp will bis an die Grenze des Rechtsstaats gehen
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Düsseldorf. Bis vor kurzem gehörte Joachim Stamp laut Umfragen noch zu den in der Öffentlichkeit kaum bekannten FDP-Ministern der schwarz-gelben NRW-Landesregierung. Seit der umstrittenen Abschiebung des Gefährders Sami A. nach Tunesien hat der 48-jährige promovierte Politologe bundesweit Bekanntheit erlangt. Seit Amtsantritt von Schwarz-Gelb in NRW 2017 verantwortet der FDP-Landeschef ein Haus mit dem kuriosen Zuschnitt Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. Als Flüchtlingsminister hat Stamp jetzt nicht seine liberale Seite, sondern klare Kante gezeigt.

Bis an die Grenze des Rechtsstaats will Stamp bei der Rückführung von Gefährdern gehen. „Wir werden auch weiterhin mit aller Konsequenz Personen, die die Sicherheit unseres Landes gefährden unter Ausschöpfung aller rechtlich gebotenen Mittel zurückführen“, hatte er noch am Montag gesagt.

Die Frage, ob im Fall Sami A. doch die Grenzen des Rechtsstaats verletzt wurden, wird aber jetzt das Oberverwaltungsgericht Münster entscheiden. Dort ging am Mittwoch eine Beschwerde der Stadt Bochum ein. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte die Ausländerbehörde Bochums dazu verdonnert, Sami A. auf eigene Kosten aus Tunesien zurückholen zu lassen. Denn die Abschiebung sei „grob rechtswidrig“ gewesen.

Das Gelsenkirchener Gericht hatte am Abend vor dem Abflug entschieden, dass Sami A. nicht abgeschoben werden dürfe. Es faxte den Beschluss aber erst am Freitagfrüh an die Behörden, als die Chartermaschine mit Sami A. an Bord in der Luft war — weil es von dem bevorstehenden Flug gar nichts wusste.

Für Stamp ist die Abschiebung von Sami A. „völlig gesetzeskonform“ verlaufen. Dass der Flug ohne Wissen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen geplant und durchgeführt wurde, ist für das Ministerium kein Argument.

Erstmals äußerte sich am Mittwoch auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zur Abschiebung von Sami A. — und sprang Stamp zu Hilfe. „Die Entscheidung ist nach unserer Auffassung rechtmäßig“, sagte er. Doch die heikle Frage, ob er wusste, dass der Abschiebeflug am Morgen des 13. Juli stattfinden würde, ließ auch Seehofer offen. Der Ball wird inzwischen hin- und hergespielt. In Stamps Ministerium fragt man sich, warum das Gelsenkirchener Gericht nicht gleich am Donnerstagabend die Behörden über das Abschiebeverbot informiert habe. Hätte es vorgelegen, „hätten wir von der Rückführung abgesehen“, hatte Stamp gesagt.

Seehofer wiederum sagt, er habe auf seinem Schreibtisch am Mittwoch vergangener Woche einen Vermerk vorgefunden, dass der ursprünglich für den Donnerstag (12. Juli) geplante Abschiebeflug abgesagt worden sei. Mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe er den Fall nicht besprochen. Für Fragen der Durchführung einer Abschiebung seien zudem die Ausländerbehörden zuständig. Auch einen direkten Kontakt zwischen Stamp und Seehofer zur Causa Sami A. gab es dem Vernehmen nach nicht.

So nutzte NRW passgenau das „prozessuale Zeitfenster“, um Sami A. nach jahrelangem juristischen Tauziehen außer Landes zu bekommen. Der mutmaßliche Ex-Leibwächter des getöteten Terror-Chefs Osama bin Laden lebte in Bochum. Die Justiz war seit 2006 in 14 Verfahren mit Sami A. beschäftigt, heißt es in einer Antwort der Landesregierung.

SPD und Grüne in NRW sprechen von einer bewussten Täuschung des Gerichts und verlangen morgen im Landtag Aufklärung — allerdings von Justizminister Peter Biesenbach (CDU) im Rechtsausschuss und nicht von Stamp.

Klar ist, dass für Seehofer und Stamp die Abschiebung von Sami A. höchste Priorität hatte. Beide sind unter Druck, wenn das Gericht in Münster die Rückführung als rechtswidrig beurteilen sollte.

Beim Thema Gefährder-Abschiebungen sind Seehofer und Stamp sich zwar einig. Doch der Draht zwischen ihnen ist offenbar nicht gut. Ein lange geplantes Treffen am Dienstag wurde kurzfristig abgesagt. Vor sechs Wochen hatte Stamp zwei Stunden mit Seehofer gesprochen. Er hatte Seehofer auch eine Liste mit Namen von rund einem Dutzend Gefährdern übergeben. In vielen Fragen gab es bei der Vorbereitung des Treffens mit Seehofer aus NRW-Sicht noch Differenzen, so dass es letztlich gecancelt wurde.

Denn Stamp will nicht nur einen harten Kurs bei Rückführungen einschlagen, sondern zugleich gut integrierten geduldeten Flüchtlingen eine dauerhafte Bleibeperspektive geben. Seine Forderung nach einem nationalen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen stößt in Berlin aber auf taube Ohren.

Die liberale Seite der Asylpolitik Stamps droht derzeit zum Randaspekt zu werden. Denn NRW hat seinen Asylkurs deutlich verschärft. NRW liegt bei freiwilligen Ausreisen und Abschiebungen inzwischen an der Spitze der Bundesländer. Die Zahl der Plätze im Abschiebegefängnis Büren wird erhöht, die Haftbedingungen werden verschärft.

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