65 Jahre NRW: Die Zukunft des Landes hat erst begonnen

Britische Besatzer schafften nach dem Zweiten Weltkrieg per Verordnung das neue Bindestrich-Land.

Düsseldorf. Auch wenn das Leben angeblich erst mit 66 Jahren anfängt — traut man dem Schlagersänger Udo Jürgens —, markiert der 65. Geburtstag doch gewöhnlich den Eintritt ins Rentenalter (auch wenn der mittlerweile immer weiter nach hinten verschoben wird).

Ist das stolze Nordrhein-Westfalen also nun reif für die Pension, weil die Engländer dieses Bundesland exakt vor 65 Jahren aus der Taufe hoben? Wohl kaum, denn die Zukunft hat gerade erst begonnen.

Als die britischen Besatzer am 23. August 1946 die Rheinprovinz und Westfalen zu einem neuen Bundesland vermählten und den Bindestrich als Kitt zwischen die verschiedenen Mentalitäten und Strukturen setzten, schufen sie nichts weniger als das Herzstück der noch zu gründenden Bundesrepublik.

Auch wenn das Ruhrgebiet noch in Trümmern lag, auch wenn die Landwirte im Münsterland oder am Niederrhein nur mit einfachsten Mitteln wirtschaften konnten: Es wurden 16 Millionen Menschen zu einer politischen Einheit zusammengeführt, und es wurde ein Wirtschaftsraum geschaffen, der zum Motor des Wirtschaftswunders wurde.

Das alles ist längst Geschichte: Kohle und Stahl, die Zwillinge des Aufschwungs, die später zur Belastung wurden; Energie und Kraftwerke, die NRW zum Kraftzentrums Europas werden ließen; Chemie und Forschung, die an der Rheinschiene Nobelpreisträger hervorriefen und schon auf Innovation setzte, als das Modewort noch keinem bekannt war.

Die alten Stärken sind da, doch die können in der globalisierten Welt nicht mehr alleine die Wirtschaft tragen. Die Chinesen haben die Stahlhütte Kaiserstuhl gekauft und demontiert, Bayer sieht sich der Konkurrenz aus Indien ausgesetzt. Die großen Konzerne müssen also kämpfen, weil sie sich nicht nur auf Nischen konzentrieren können.

Dort tummeln sich längst die vielen Mittelständler aus NRW höchst erfolgreich. Maschinenbauer aus dem Sauerland, Werkzeugmacher aus dem Bergischen, Metallbauer aus dem Ruhrgebiet — sie alle haben weltweit einen ausgezeichneten Ruf und beste Marktpositionen.

Diesen Prozess hat über die Jahre die Landespolitik begleitet, hier und da unterstützt, aber eben nicht gestaltet. Denn das verbietet das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Wo aber der Strukturwandel Wunden geschlagen hat, wo ganze Städte am Abgrund standen, da hat das Land geholfen: mit der Gründung von Hochschulen, mit der Schaffung von Gründerzentren, mit der Gewährung von Bürgschaften, mit Fördermitteln.

Die 65 Jahre NRW sind eine höchst wechselvolle Geschichte. Der Wandel ist noch längst nicht abgeschlossen, noch immer haben vor allem die alten Industriezentren Schwierigkeiten, den Anschluss zu halten. Die Zukunft aber ist definiert: Sie besteht in einer Bildungsgesellschaft, in einer Wirtschaft mit dezentralen Strukturen.

Am besten lässt sich das derzeit im Energiesektor beobachten: Die Zeit der alten Riesen RWE und Eon scheint zu Ende zu gehen, Stadtwerke und private Mittelständler treten an ihre Stelle. Risiko oder Chance? Wie immer in NRW eine Frage, die sich erst später beantworten lässt. Nur eines ist klar: Ruhestand sieht anders aus.

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