Neue Vorwürfe gegen Londons Polizei

Eine zweite Autopsie belegt, dass ein Zeitungsverkäufer nach dem Angriff eines Polizisten an inneren Blutungen starb.

London. Für die Londoner Polizei entwickelt sich der April zum Katastrophenmonat: Erneut sind Videoaufnahmen aufgetaucht, die zeigen, wie Beamten beim G20-Gipfel Demonstranten brutal schlagen. Außerdem wirft eine zweite Autopsie des Gipfel-Toten Ian Tomlinson neue Fragen auf: Der Zeitungsverkäufer starb nach dem Stoß eines Polizisten an inneren Blutungen und nicht, wie bisher behauptet, an einem Herzinfarkt.

Die neuen Filmaufnahmen zeigen, wie ein Polizist mit seinem Schutzschild gegen die Schläfe eines 24-Jährigen schlägt. Beim G20-Gipfel gehörte er zu einer Gruppe, die mit Zelten ein weitgehend friedliches "Klimacamp" im Bankenviertel aufgeschlagen hatte und gegen Industrieverschmutzung protestierte. Zu dem Zusammenstoß kam es, als die Polizei das Zeltlager auflöste und ohne erkennbaren Grund in die zurückweichende Menge langte. An anderer Stelle verteilte ein Beamter Kinnhaken.

Zeugen haben auch ausgesagt, dass Polizisten in die Gesichter von Sitzstreik-Demonstranten getrampelt seien und eine Frau an den Haaren über die Straße gezerrt hätten. Doch die Beamten müssen sich derzeit nicht nur den Vorwurf gefallen lassen, unverhältnismäßig hart vorgegangen zu sein. Die Amateur-Videoaufnahmen zeigen zudem in vielen Fällen, dass sie die persönlichen Einsatznummern auf ihren Jacken verdeckt hatten.

"Unkenntlich gemachte Nummern werfen Fragen auf", sagt Nick Hardwick, Vorsitzender einer unabhängigen Untersuchungskommission, die Beschwerden im Rahmen des Londoner Gipfels prüft: "Warum haben die Vorgesetzten nicht interveniert? Was sagt das Verdecken der Einsatznummern über etwaige Motive aus - dass man Konflikte schon voraussetzt?" Die Einsatzkräfte müssen sich nun erstmalig mit der Tatsache auseinander setzen, dass die moderne Technik für einen Rollentausch sorgt. Filmende Polizisten bei Demonstrationen waren bisher ein gewohnter Anblick; Handys sorgen nun dafür, dass auch sie sich bei der Arbeit auf die Finger schauen lassen müssen. Die Amateuraufnahmen gelten als Beweismaterial in der Untersuchung der Zwischenfälle.

Im Fall des toten Ian Tomlinson haben erst die Bilder eines Investmentbankers dafür gesorgt, dass der Fall noch einmal aufgerollt wurde. Die Polizei hatte den Toten zwar gemeldet, jedoch verschwiegen, dass Beamte zuvor Kontakt mit ihm hatten. Tomlinson war von einem Beamten ohne Provokation brutal zu Boden gestoßen worden. Minuten später starb der 47-Jährige. Freitagabend stellte sich bei einer zweiten Autopsie heraus, dass innere Blutungen die Todesursache waren - und nicht ein Herzinfarkt, wie es das Ergebnis der ersten Autopsie aussagte. Der beteiligte Beamte ist vom Dienst suspendiert worden; ob er sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss, ist noch offen.

Das grobe Vorgehen rund um den Gipfel trübt den Ruf der britischen Polizei, die bisher als zurückhaltend, wenn auch als unabkömmlich im Ernstfall galt. So hat die Beschwerdekommission bis vor kurzem noch hauptsächlich Fälle untersucht, in denen Beamte zu wenig oder zu spät interveniert hatten. Die neuen Anti-Terror-Gesetze dürften diesen Trend umkehren: Im November griffen Beamte unter dieser Regelung in die Immunität eines Parlamentariers ein und stellten sein Büro auf den Kopf, nachdem er peinliche Pannen des Innenministeriums der Presse gesteckt hatte. Das war für manche unangenehm, ist aber dennoch legal.

Auch ein Urlauber aus Österreich wurde vergangene Woche Opfer der El-Kaida-Gesetze: Er musste Fotos von Doppeldeckerbussen an der Haltestelle Vauxhall löschen und den Beamten seine Anschrift hinterlassen.

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