Nachruf Walter Scheel: Ein großer Liberaler

Walter Scheel ist gestorben - politisch hat er Wegweisendes geleistet

Altbundespräsident Walter Scheel ist am Mittwoch im Alter von 97 Jahren gestorben.

Altbundespräsident Walter Scheel ist am Mittwoch im Alter von 97 Jahren gestorben.

Foto: Patrick Seeger

Berlin. Das Leben hat er immer genossen. Noch im hohen Alter konnte man Walter Scheel mit seiner Frau Barbara im Cabrio über den Berliner Kudamm rauschen sehen. Politisch war er da schon lange nicht mehr aktiv. Zuletzt lebte der vierte Bundespräsident (1974 bis 1979) seit einigen Jahren zurückgezogen in einem Pflegeheim in Süddeutschland, an Demenz erkrankt. Nach Guido Westerwelle und Hans-Dietrich Genscher ist mit Walter Scheel am Mittwoch ein weiterer FDP-Politiker verstorben, der entscheidend die Geschichte der Bundesrepublik geprägt hat. Er wurde 97 Jahre alt.

Die Älteren werden sich daran erinnern - Scheel war der einzige Bundespräsident, der einen riesigen Plattenerfolg vorweisen konnte. Über 300.000 Mal verkaufte sich der präsidiale Hit, den er Zeit seines Lebens nicht mehr los wurde. Doch es ist falsch, den am 8. Juli 1919 in Solingen geborenen FDP-Politiker allein auf seine Frohnatur und Gesangskünste zu reduzieren. Denn politisch war er eine gewiefter und gerissener Taktiker. Scheel war es, der 1969 der FDP den Weg in ein Bündnis mit der SPD ebnete.

Das war historisch. Mit dem Sozialdemokraten Willy Brandt richtete er dann die deutsche Ostpolitik neu aus und initiierte in Zeiten des Kalten Krieges eine richtungsweisende Entspannungspolitik. Das war der Grundstein für die spätere Deutsche Einheit. Scheel war Außenminister und Vizekanzler der von Brandt geführten sozial-liberalen Regierung. Außenpolitisch betonte er immer wieder die Bedeutung eines geeinten Europas für den Erhalt von Frieden und Demokratie.

"Opas Europa ist tot", meinte er seinerzeit. Auch das war wegweisend. Angesichts der europäischen Krisenzeiten wäre man froh, wenn sich daran wieder mehr in Europa erinnern würden. Seine fünfjährige Amtszeit als Bundespräsident wurde überschattet vom Höhepunkt des Terrors der Roten Armee Fraktion (RAF). Scheel, der Krisenpräsident, suchte trotzdem immer noch die Nähe zum Volk. Auch als Staatsoberhaupt setzte er weiter auf politische Entspannung. 1975 besuchte der Liberale als erster Bundespräsident die Sowjetunion. Auf eine zweite Amtszeit verzichtete der frühere FDP-Chef, weil sich CDU und CSU im Frühjahr 1979 auf Karl Carstens als Kandidaten einigten und ihm so die Mehrheit in der Bundesversammlung fehlte.

Der Politiker Scheel trat stets gut gelaunt auf, das war für ihn so etwas wie demokratische Pflicht. Seine liebenswürdige Jovialität war auch nie gespielt, ein einnehmendes Lächeln war ihm in die Wiege gelegt. "Gute Laune ist ein Kapital, das man sich nicht nehmen lassen darf", merkte der gelernte Banker an. Dreimal war Scheel verheiratet, 24 Jahre lang mit seiner ersten Frau Eva Charlotte, die 1966 starb. 1969 heiratete er die Röntgenologin Mildred Wirtz, die später die Deutsche Krebshilfe ins Leben rief. Durch ihr unermüdliches Engagement wurde sie zu einer der beliebtesten "First Ladys" in der Geschichte der Bundesrepublik - noch lange über die Zeit in Schloss Bellevue hinaus genoss sie hohes Ansehen bei den Deutschen.

Mildred Scheel starb am 13. Mai 1985 selbst an Krebs. Walter Scheel hat vier Kinder. Mit seiner dritten Ehefrau Barbara, die er 1988 heiratete, zog er sich dann Schritt für Schritt aus der Öffentlichkeit nach Bad Krozingen zurück. In den letzten Jahren machte das Paar noch Schlagzeilen, weil die streitbare und selbstbewusste Ehefrau Scheels sich Auseinandersetzungen mit dem Pflegeheim lieferte, in dem der Alt-Bundespräsident betreut wurde. Offizielle Termine hat er schon lange nicht mehr wahrgenommen.

Am Mittwoch verstarb der große Liberale.

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