Münchner Sicherheitskonferenz: Gespräche über die Welt am Rand

Ab Freitag treffen sich bei der „Münchner Sicherheitskonferenz“ rund 20 Staats- und Regierungschefs sowie weitere 75 Außen- und Verteidigungsminister, um bis zum Sonntag über mehr als ein Dutzend weltweite Krisen und Konflikte zu sprechen — die immer gefährlicher werden.

 Türkische Soldaten im Januar nahe der syrischen Grenze.

Türkische Soldaten im Januar nahe der syrischen Grenze.

Foto: Lefteris Pitarakis

München/Berlin. Während die Truppen ihrer Länder in Syrien auf dem Rücken der Bevölkerung einen rücksichtslosen Stellvertreterkrieg führen, kommen in München unter anderem die Außenminister des Irans, Russlands, der Türkei und US-Verteidigungsminister General James Mattis zusammen. Der Iraner Mohammed Dschawad Sarif wird im vornehmen Bayerischen Hof auch auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den irakischen Premierminister Haider al-Abadi treffen. Bei der „Münchner Sicherheitskonferenz“ (MSC) reden sie immerhin miteinander. Das ist ein Wert in einer Zeit, in der die Zahl weltweiter gefährlicher Konflikte eher zu- als abnimmt, während die internationale Ordnung weiter zerfällt.

„Im letzten Jahr ist die Welt zu nahe an einen großen zwischenstaatlichen Konflikt gerückt,“ sagte der MSC-Vorsitzende Wolfgang Ischinger in der vergangenen Woche bei der Vorstellung des Konferenzprogramms in Berlin. Im Mittelpunkt der Tagesordnung soll die „Zukunft und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union“ sowie ihre Beziehungen zu Russland und den Vereinigten Staaten stehen. Darüber hinaus sollen die Bedrohung der liberalen internationalen Ordnung, die nahezu unüberschaubaren Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, so auch die sich weiter verschlechternden Beziehungen zwischen den Golfstaaten und die Entwicklung der politischen Lage im Sahel diskutiert werden. Dazu kommen Abrüstungsfragen und der Konflikt um das nordkoreanische Nuklearprogramm.

Die rhetorischen Eskalationen einzelner Entscheidungsträger seien sehr besorgniserregend, sagt Ischinger: „Ob auf der koreanischen Halbinsel, im Golf oder in Osteuropa — wenn in aufgeladenen Situationen jemand eine falsche Entscheidung trifft, könnte das schnell eine gefährliche Kettenreaktion in Gang setzen. Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, den Austausch zwischen wichtigen Akteuren zu stärken.“

In München wird sich schmerzhaft bemerkbar machen, dass Deutschland aufgrund seiner Selbstbeschäftigung mit der Regierungsbildung als wichtiger Vermittler derzeit schwächelt. Allein das Hin und Her, wer denn nun von deutscher Seite teilnimmt oder doch nicht, wirft kein gutes Licht auf die Handlungsfähigkeit der Gastgeber. Während die Regierungsmitglieder der Union — Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller — in München gute Miene zum wackeligen Berliner Verhandlungszirkus machen, sagte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) seine Teilnahme zunächst ab, dann wieder zu. Trotz seiner hohen Beliebtheitswerte in Deutschland gilt Gabriel international nicht als begnadeter Diplomat.

Doch gerade jetzt wäre eine starke deutsche Stimme wichtig, zum Beispiel im Umgang mit dem Iran. Der ist längst dazu übergegangen, die radikal-schiitische Hisbollah im Libanon und in Syrien nicht nur mit Waffen zu beliefern, sondern bedroht von dort aus auch selbst ganz direkt Israel. Nachdem ein israelischer Kampfhubschrauber eine iranische Drohne über israelischem Hoheitsgebiet abschoss, hat Israels Luftwaffe am Wochenende begonnen, iranische Ziele in Syrien direkt anzugreifen. Die Hisbollah wiederum feierte den Abschuss eines israelischen F16-Kampfjets durch die syrische Luftverteidigung als „Beginn einer neuen strategischen Ära“, in der alte „Arrangements“ keine Gültigkeit mehr hätten. Die Großmäuligkeit der schiitischen Terror-Miliz könnte Tausende Libanesen das Leben kosten. Denn seit Monaten rechnet die israelische Armee (IDF) damit, über kurz oder lang einen groß angelegten, präventiven Schlag gegen den Libanon führen zu müssen, wo die Hisbollah vom Iran in den vergangenen Jahren mit weit modernerer Raketentechnik als in früheren Konflikten ausgerüstet worden ist. Die Eskalation ist soweit vorangeschritten, dass IDF-Specher Ronen Manelis jüngst einen Brief direkt an das libanesische Volk via Internet verbreitete, in dem er warnte, was passiere, wenn Arbeiten an iranischen Raketenfabriken im Libanon fortgesetzt würden: Die Zukunft des Libanon und der Region würden durch „die Übernahme derer, die ihre Befehle aus Teheran erhalten“, gefährdet, so der Brigadegeneral.

Das Streichholz zu dieser Lunte brennt in Teheran. Nur dort, wo Deutschland und Europa dank des leichtsinnig von den USA infrage gestellten Atomabkommens einen Fuß in der Tür haben, lässt sich der nächste Libanon-Krieg, auf den fast unweigerlich auch ein neuer Gaza-Krieg folgen würde, zumindest aufschieben und — das sollte das Ziel sein — der Konflikt dauerhaft einhegen.

Das kann weder gegen die USA noch ohne Russland gelingen, die sich derzeit auf ein neues atomares Wettrüsten zubewegen. Nach Einschätzung nicht nur von Ischinger ist ein neuer Rüstungswettlauf längst im Gange. Es steht der 30 Jahre alte INF-Vertrag (INF = Intermediate Range Nuclear Forces), der 1988 in Kraft trat und landgestützte atomare Mittelstreckensysteme mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern verbot, auf der Kippe. Russland und die USA werfen sich nicht nur gegenseitig vor, ihn regelmäßig zu brechen, sondern sind bereits wieder zur Entwicklung kleinerer, begrenzt einsetzbarer Nuklearsprengköpfe übergegangen.

Seit einigen Jahren gibt die MSC vor Beginn der Konferenz einen „Sicherheitsreport“ heraus, der Material und Hintergründe zu den Kernthemen des dreitägigen Meetings liefert. 2018 trägt er den Titel „To the Brink — and back?“ (deutsch: Bis an den Rand — und zurück?). Das Fragezeichen ist alles andere als rhetorisch gedacht. „2018 verspricht ein Jahr zu werden, in dem einige dieser Krisen sich entweder auf eine Lösung oder eine Eskalation zubewegen könnten — möglicherweise mit katastrophale Folgen. Wir müssen tun, was wir können, um uns vom Rand zu entfernen“, schreibt Ischinger im Vorwort.

Der Bericht lässt keinen Zweifel daran, dass die USA als einstige Führungsmacht der freien Welt nach Jahren der Führungsverweigerung unter Barack Obama nun sogar eher ein Teil des Problems als der Lösung sind: „Die Trump-Administration änderte die Richtung. Außenminister Rex Tillerson argumentierte, dass die Förderung von Werten zu oft ein ,Hindernis’ für die Förderung amerikanischer Interessen darstelle. Wenn der mächtigste Staat der Welt dieses Beispiel setzt, werden andere folgen“, schreiben die Autoren erfrischend undiplomatisch.

In der Vergangenheit habe man sich darauf verlassen, zitiert der Bericht eine Äußerung Sigmar Gabriels vom 5. Januar, „dass die Franzosen, die Briten und vor allem die Amerikaner unsere Interessen in der Welt durchsetzen. Wir haben die USA immer dafür kritisiert, dass sie die globale Polizei sind, und das war es auch oft dazu geeignet. Aber wir sehen jetzt, was passiert, wenn die USA sich zurückziehen. In der internationalen Politik gibt es kein Vakuum.“

Das alles wäre kompliziert genug in einer Welt, die den Traum von einer Kontinente übergreifenden Friedensordnung zwischen Ost und West aufgegeben und auf das Niveau des Kalten Kriegs zurückfällt. Die Wirklichkeit ist viel komplizierter, da mit dem Erstarken Chinas mindestens ein dritter Spieler auf den Plan getreten ist, ohne den eine künftige, multipolare Weltordnung gar nicht denkbar ist.

Pünktlich zur Sicherheitskonferenz hat das Mercator Institute for China Studies (Merics) eine Studie vorgelegt, laut der China nun nach dem Vorbild der „hybriden Kriegsführung“ Russlands Versuche massiver Einflussnahme auf demokratische Prozesse in Europa und Nordamerika startet: „Die Kommunistische Partei Chinas bemüht sich verstärkt, auf politische und wirtschaftliche Führungskräfte, Medien und Zivilgesellschaft in Europa, Nordamerika und anderen Staaten Einfluss zu nehmen und das eigene, autoritär orientierte Politikmodell zu bewerben. Diese Entwicklung wird europäische Werte und Interessen herausfordern.“

Die Schlussfolgerung der Studie: Die europäischen Staaten müssten schnell und entschieden handeln. „EU-Staaten müssten ihr politisches Gewicht wirksamer einsetzen, den Aufbau unabhängiger und praxisnaher China-Expertise fördern und Alternativen zu chinesischen Investitionen in Europa entwickeln“, so Merics. Und: Die Verfasser rufen die EU-Staaten auf, Mechanismen zur „Überprüfung chinesischer Investitionen“ zu erstellen und das europäische Sicherheitsregime zu stärken. Gemeint sind Cybersicherheit und Spionageabwehr. Im jährlichen Bericht der Eurasia Group zu den zehn wichtigsten politischen Risikobereichen für das kommende Jahr steht China nun sogar auf dem ersten Platz. Nachdem die Eurasia-Gruppe im Jahr 2017 vor einer „geopolitischen Rezession“ gewarnt hatte, befürchtet sie nun, dass „die Welt jetzt der geopolitischen Depression näher ist als einer Rückkehr zu vergangener Stabilität“.

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