Kopf-an-Kopf-Rennen von Livni und Netanjahu in Israel

Wahlen: Die Mitte-Partei Kadima schneidet nach ersten Prognosen überraschend gut ab. Der rechte Likud gewinnt ebenfalls Stimmen.

Tel Aviv. Drama pur in Israel: Nach dem spannendsten Kopf-an-Kopf-Rennen seit mehr als einem Jahrzehnt erlebte Israel eine lange Wahlnacht. Außenministerin Zipi Livni lag nach ersten Prognosen mit bis zu 30 von 120 Sitzen in der Knesset knapp in Führung. Der Likud von Oppositionsführer Benjamin "Bibi" Netanjahu kann mit 28 Mandaten rechnen.

Mit Champagner war es für Livni dennoch zu früh. Noch sind die Erinnerungen an jene denkwürdige Wahlnacht vom Mai 1996 wach, als die Israelis im sicheren Glauben an einen Wahlsieg von Schimon Peres ins Bett gegangen und am Morgen mit Netanjahu als neuem Ministerpräsidenten aufgewacht waren.

Bis eine Woche vor der Wahl sah es so aus, als ob der 59-Jährige mit seinem rechtsgerichteten Likud einen klaren Sieg einfahren würde. "Wenn Benjamin Netanjahu heute die Wahlen verlieren sollte, dann wäre das die beeindruckendste politische Überraschung seit Benjamin Netanjahus Wahlsieg von 1996", schrieb der Kommentator Ben Caspit in der Tageszeitung "Maariv".

Netanjahu profitierte vor 13Jahren von einer tödlichen Serie von Anschlägen der radikal-islamischen Hamas auf israelische Busse. Die Israelis trauten Netanjahu eher als Peres zu, mit harter Hand gegen die Terroristen vorzugehen.

Auch diesmal agierte die Hamas indirekt als Wahlhelfer. Hätten die Radikalislamisten am 19. Dezember 2008 eine Waffenruhe mit Israel verlängert und nicht Tag für Tag dutzende Raketen auf Israel abgefeuert, wäre manches möglicherweise anders gelaufen. So gewann Netanjahu wieder Oberwasser mit seiner These, dass die Räumung des Gazastreifens ein Fehler gewesen sei und militante Palästinenser damit ein Sprungbrett für ihre Angriffe gegen Israel in die Hand bekommen hätten.

Von da an hatte Außenministerin Livni einen schweren Stand. Die Juristin und frühere Geheimdienstagentin setzte zu Beginn ihres Wahlkampfes ganz auf das Thema Wandel. Nach den Korruptionsaffären um den scheidenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert versprach sie eine neue Politik ohne Skandale.

Mit Beginn der Gaza-Offensive der israelischen Armee änderten sich für viele Wähler die Prioritäten. Jetzt stand das Thema Sicherheit wieder an erster Stelle. In anderen Demokratien gingen die Leute mit einem Hoffnungsschimmer auf etwas Neues zur Wahl, in Israel gingen sie aus Angst an die Urnen, fasste die Tageszeitung "Haaretz" die Befindlichkeiten der Israelis zusammen.

Viele Wochen lang prasselten auf die 50-jährige Livni Pauschalvorwürfe ihrer männlichen Konkurrenten ein, sie sei zu unerfahren und das Amt des Ministerpräsidenten sei eine Nummer zu groß für sie. Livni konterte, dass sie in der scheidenden Regierung zur Führungstroika gehört und nicht den Kaffee gekocht habe.

Am vergangenen Freitag kam für Livni die Wende. Die Umfragen sagten Netanjahu nur noch zwei Sitze Vorsprung voraus. Livni warb fortan mit der einfachen Botschaft: Wer Netanjahu nicht will, muss sie wählen.

Sollte Livni am Ende der Wahlnacht die Nase vorn haben, muss Präsident Schimon Peres in der kommenden Woche entscheiden, ob er sie oder doch den möglichen Zweitplatzierten Netanjahu mit der Regierungsbildung beauftragt. Die Chancen für Netanjahu stehen besser. Die ersten Prognosen bestätigten, dass es in Israel einen Rechtsruck gegeben hat. Rechnerisch könnte Netanjahu mit dem rechten Block aus national-religiösen, ultra-orthodoxen und ultra-rechten Parteien eine Koalition bilden.

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