Koalition spricht Fachchinesisch

Von der „Haftungskaskade“ bis zur „Transphobie“ — Schwarz-Rot ist in vielen Punkten unverständlich. Offenbar mit Absicht.

Berlin. Ob das die SPD-Basis milde stimmen wird? Der für viele Berliner Beobachter schönste Satz im Koalitionsvertrag von Union und SPD lautet: „Der Bund bekennt sich zum Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg BER.“ Na ja: Die Genossen, die jetzt die 185 Seiten auf sozialdemokratisches Herz und rote Niere überprüfen sollen, werden sich diesbezüglich noch denken können, dass nicht der permanente Bau, sondern die Fertigstellung gemeint gewesen sein dürfte. Wann auch immer das sein wird.

Gleichwohl bietet der Koalitionsvertrag genügend andere verbale Fallstricke. Die Überprüfung des BER-Versprechens wird schon komplizierter, wenn man liest, dass Union und SPD „eine zügige wettbewerbsneutrale Umsetzung des europäischen Emissionshandels im Luftverkehr“ wollen und „seine Überführung in ein internationales Emissionshandelssystem auf ICAO-Basis“ unterstützen.

Im Vertrag wurden viele Sätze formuliert, bei denen man schon in der Mitte nicht mehr weiß, was am Anfang stand. Wie auch dieser hier: „Wir werden die Finanzierungsverantwortung dort verorten, wo der Nutzen entsteht, um Verschiebebahnhöfe zu beseitigen.“ Alles klar? Nur Experten dringen da noch bis zum eigentlichen Kern durch. Hinzu kommen Worte, die ein Normal-Sterblicher kaum versteht: „Haftungskaskade“, „Transphobie“ oder „Landesbasisfallwert“ kann man dann nur noch googeln. Doch wer macht das schon?

Ein führender Unionsmann erklärte neulich das Geschwurbel mit einem einzigen Begriff: „Textlobbying.“ Soll heißen: Unterhändler, auch Verbände hätten in den Wochen der Verhandlungen alles daran gesetzt, ihr Spezialgebiet irgendwie in den Koalitionsvertrag zu drücken. Was vielen augenscheinlich gelungen ist.

Die Suche der SPD-Mitglieder nach den Erfolgen ihrer Parteiführung macht das nicht leichter. Deswegen bombardiert die SPD-Führung ihre Basis mit Kurzinfos zum Koalitionsvertrag, die schon den Wahlunterlagen beigelegt sind. Auch die Anhänger der Union bekamen die zehn wichtigsten Punkte für die CDU zugeschickt — kompakt auf einer Seite.

Angesichts des vielen Fachchinesischs freut man sich fast schon, wenn man nur die üblichen Polit-Floskeln findet: „Wir wollen, dass alle Menschen in Deutschland — Kinder, Frauen und Männer, Junge und Alte, in Ost und West — ein gutes Leben führen können.“ Sehr schön. Zur Ehrenrettung der Verhandler muss man allerdings erwähnen, dass es alles andere als simpel ist, die vielen teuren Vorhaben mit all ihren Haken und Ösen zu durchschauen. Zumal sie erst in den frühen Morgenstunden — nach gut 15 Stunden Verhandlungen — relativ rasch zusammengebastelt wurden. Auch sprachlich. Mal in der Dreierrunde der Parteivorsitzenden, mal im Gremium der 15, und dann auch noch in der großen Runde der 75. Und meist tief in der Nacht.

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