Erderwärmung Klimawandel: Die Zukunft des Golfstroms ist kompliziert

Berlin. Ein Eispanzer über der Nordhalbkugel wie in Roland Emmerichs Film „The day after tomorrow“ ist ein Dauer-Szenario in vielen Klimadiskussionen. Doch deutsche Klimaforscher erklärten das am Donnerstag für sehr unwahrscheinlich — ohne freilich Entwarnung zu geben.

Wenn das Grönlandeis komplett schmilzt, steigt der Meeresspiegel um sieben Meter.

Wenn das Grönlandeis komplett schmilzt, steigt der Meeresspiegel um sieben Meter.

Foto: dpa

Die Zukunft des Golfstroms, der Europa beständig mit Wärme aus der Karibik versorgt, ist komplizierter.

Das Deutsche Klima-Konsortium hatte führende deutsche Meeresforscher zusammengeführt und um eine gemeinsame realistische Einschätzung gebeten, die jetzt als Broschüre vorliegt (www.deutsches-klima-konsortium.de). Die Ergebnisse: Wenn der CO2-Ausstoß ungehemmt weitergeht und es bis zum Ende des Jahrhunderts zu einer Erderwärmung von vier und mehr Grad kommt, wird sich der Golfstrom wahrscheinlich um 30 Prozent abschwächen. Das ist der Durchschnitt aller Modellrechnungen. Skeptischere Forscher gehen von 50 Prozent aus. Das bedeutet, dass entsprechend weniger warmes Wasser von Süden nach Norden geführt wird. Erwärmen wird sich Nordeuropa wie die ganze Erde trotzdem, aber etwas weniger stark. „Ich würde niemandem raten, in der Klimadebatte von einem drohenden Totalzusammenbruch des Golfstroms zu sprechen“, so der international renommierte Kieler Ozeanforscher Mojib Latif. Seine Kollegin Monika Rhein von der Universität Bremen ergänzte: „So etwas wie day after tomorrow gibt es nicht.“

Trotzdem bleibt auch das 30-Prozent-Szenario nach Meinung der Experten nicht ohne Folgen. So führe die Abschwächung des Golfstroms zu einem zusätzlichen Meeresspiegel-Anstieg in Europa und Nordamerika um 20 Zentimeter. Die Auswirkungen auf die Fischerei seien unkalkulierbar. Mit dem Golfstrom wandernde Tierarten wie Aale oder Schildkröten bekämen große Probleme. Beide Forscher wiesen gleichzeitig auf zahlreiche Unsicherheit der Prognosen hin. Die seit den 1940er Jahren vorgenommenen Messungen zeigten große Schwankungen des Golfstroms, die auch natürlichen Ursprungs sein könnten. Genauere Messungen mit High-Tech-Bojen würden erst seit 20 Jahren vorgenommen und hätten noch nicht genug Daten ergeben.

Die größte Unbekannte ist das Grönlandeis. Für die Zirkulation des Golfstroms ist neben der Temperatur auch der Salzgehalt nördlich von Island entscheidend. Dort kühlt das warme Wasser und sinkt ab, um dann als Tiefenströmung wieder zurück in Richtung Golf von Mexiko zu fließen. Ist der Salzgehalt durch süßes Schmelzwasser jedoch zu niedrig und das Wasser zu leicht, funktioniert diese Pumpe nicht mehr richtig. Schon gegenwärtig schmelzen jährlich rund 300 Milliarden Tonnen Eis auf Grönland und fließen in den Atlantik. Doch ist unklar, in welchem Umfang dieses Süßwasser den Golfstrom berührt und vor allem, wie der Schmelzprozess künftig weitergeht. Das hängt auch davon ab, ob es gelingt, das in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, tatsächlich einzuhalten. Ebenso wie der Golfstrom ist auch das Grönland-Eis ein sogenannter Kipppunkt des Klimageschehens, die bei zwei Grad erreicht werden. Sind sie überschritten, werden die Prozesse unumkehrbar und verstärken sich gegenseitig. Für Europa wäre der Zusammenbruch des Golfstroms dabei fast noch das geringere Übel: Schmilzt das Grönlandeis komplett, steigt der Meeresspiegel um sieben Meter. Land unter.

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