Käßmann unter dem Regenbogen

Die Strahlkraft der einstigen EKD-Ratsvorsitzenden scheint ungebrochen groß. Die Halle muss wegen Überfüllung geschlossen werden, die Menschen erheben sich von den Papphockern und spenden ihr minutenlangen Applaus, noch ehe sie nur ein Wort gesagt hat.

München. Margot Käßmann ist klein. Als sie an diesem Donnerstagmorgen um kurz vor halb zehn die Halle C1 auf dem Münchner Messegelände betritt, kann man sie nur an dem Pulk der Fotografen, Beleuchter und Kameraleute erahnen, der sich vom Seiteneingang im Schritttempo zu ihrem Sitzplatz bewegt.

Aber die Strahlkraft der einstigen EKD-Ratsvorsitzenden scheint ungebrochen groß. Die Halle muss wegen Überfüllung geschlossen werden, die Menschen erheben sich von den Papphockern und spenden ihr minutenlangen Applaus, noch ehe sie nur ein Wort gesagt hat.Schon tags zuvor waren 200 Pressevertreter zu der Vorstellung ihres neuen Buchs "Das große Du" über das Vaterunser erschienen - Auftakt für ihre Rückkehr in die Öffentlichkeit drei Monate nach dem denkwürdigen Rücktritt.

Interviews will Käßmann auf dem 2. Ökumenischen Kirchentag nicht geben. Doch diese einstündige Bibelarbeit am Anfang einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, an denen sie im Laufe der nächsten Tage in München beteiligt sein wird, ist viel mehr als ein wortgewandtes Statement. Die Pfarrerin verlässt sich auf ihre Kernkompetenz: Sie predigt - wie alle Prediger ein Stück sich selbst, aber auch all denen, die ihren Rückzug vom Spitzenamt des deutschen Protestantismus noch nicht verwunden haben.

Dabei muss sie gar nicht überdeutlich werden. Der evangelische Kirchentagspräsident Eckhard Nagel hatte schon zur Begrüßung von einem "besonderen Moment" gesprochen, an ihre Alkoholfahrt im Februar erinnert und der Traurigkeit und Verunsicherung ihrer Anhänger Ausdruck verliehen. Käßmann selbst erwähnt nur an einer Stelle die Ampel, die sie bei Rot überfahren hat. Aber ihre Bibelarbeit, die sich mit dem Bund zwischen Gott und Noah im 1. Buch Mose befasst, dieser großen Geschichte des Neuanfangs nach der Sintflut, ist immer wieder auch als ein Plädoyer in eigener Sache zu hören.

Sintfluterfahrungen, das können für Käßmann Natur- und menschengemachte Katastrophen sein. Und eben auch sehr persönliche: eine Krebserkrankung, eine Scheidung. Aber die archaische Regenbogengeschichte ist für sie ein Bild für die "besondere Liebe Gottes zu den gebrochenen Gestalten". Und ein großes Zeichen des Friedens, in dem "vergangener Zorn und gegenwärtige Gnade" enthalten sind, wie Luther formuliert hat. "Ja, es gibt eine zweite Chance", sagt sie.

Käßmann knüpft auch an die viel kritisierte Afghanistan-Passage ihrer Weihnachts- und Neujahrspredigt an. "Lieber bin ich naiv und überzeugt, dass ein Kriegsbogen ein Regenbogen werden kann, als dass ich mich der Logik und Praxis von Waffenhandel und Krieg beuge." Die Pfarrerin nennt sowohl getötete deutsche Soldaten als auch beim Bombenangriff von Kunduz gestorbene Afghanen beim Namen.

"Menschen müssen mit Scheitern und Schuld leben", sagt Käßmann gegen Ende ihrer immer wieder von Beifall unterbrochenen Bibelarbeit. Aber Christinnen und Christen könnten einen "Regenbogen der Hoffnung schaffen, gerade dann, wenn wir unsere Fehler nicht leugnen. Gerade dann, wenn wir den Blick wach halten für das Scheitern, die Schwäche, die Versuchung, und sie mit Liebe anschauen."Dass dieser liebevolle Blick auch ihr selbst gilt, diese Gewissheit nimmt Käßmann mit dem warmen Applaus mit, der sie und den Kamerapulk aus der Halle begleitet.

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