Interview Justizminister Kutschaty: Die Richter brauchen einen besseren Werkzeugkoffer

Thomas Kutschaty (SPD) macht sich im Interview für neue Strafsanktionen stark, mit denen die Gerichte flexibler urteilen könnten.

Interview: Justizminister Kutschaty: Die Richter brauchen einen besseren Werkzeugkoffer
Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Thomas Kutschaty leitet seit 2010 das Justizressort der NRW-Landesregierung. Wir sprachen mit dem SPD-Politiker über illegale Autorennen, gerechte Strafen, Probleme in den Haftanstalten und über die AfD.

Herr Kutschaty, Ihnen wird nachgesagt, dass Sie die Kunst der zielstrebigen Unauffälligkeit beherrschen. Nicht nur der Fall Petra Hinz, durch den Sie als Essener SPD-Chef besonders gefordert waren, hat das geändert. Und Pannen in Justizvollzugsanstalten. Aber auch rechtspolitische Vorstöße wie der Einsatz für einen neuen Straftatbestand gegen illegale Autorennen haben Sie bekannter gemacht. Sie fallen mehr auf als früher.

Thomas Kutschaty: Ich bin seit sechs Jahren Justizminister und habe kontinuierliche Rechtspolitik gemacht. Das ist auch auf der Bundesebene sichtbar. Viele unserer Bundesratsinitiativen sind längst Gesetz geworden. Die Mietpreisbremse ging von NRW aus, ebenso die Frauenquote in Aufsichtsräten, die Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Wir haben Debatten zu einem Unternehmensstrafrecht angestoßen. Und dann die von Ihnen angesprochene Initiative zu illegalen Autorennen, über die der Bundesrat gestern abgestimmt hat.

Statt Bußgeld von 400 Euro, einem Monat Fahrverbot und zwei Punkten in Flensburg drohen Autorasern zwei Jahre Freiheitsstrafe und dauerhafter Entzug der Fahrerlaubnis.

Kutschaty: Das war bitter nötig. Wir lesen doch immer wieder, was passiert, wenn testosterongesteuerte junge Männer an der Ampel stehen und spontan ein Autorennen veranstalten. Bei den Sanktionen kann auch eine Beschlagnahme des heißgeliebten tiefergelegten Fahrzeugs wirksam abschrecken. Ich möchte nicht warten, bis jemand zu Schaden kommt, die Leute müssen vorher aus dem Verkehr gezogen werden.

In Berlin sind Teilnehmer eines Autorennens sogar wegen Mordes angeklagt.

Kutschaty: Den Fall kann ich als Minister wegen der Unabhängigkeit der Justiz nicht kommentieren. Ich weise aber darauf hin, dass auch nach dem neuen Straftatbestand eine Strafe von bis zu zehn Jahren vorgesehen ist, wenn jemand bei einem solchen Autorennen zu Schaden kommt. Der Fall zeigt: Wir müssen früher ansetzen, bevor etwas passiert.

Sie plädieren für eine Ausweitung des strafrechtlichen Sanktionensystems, für ein Fahrverbot als Hauptstrafe, für Stadionverbote oder Vermögensstrafen. Reichen unsere Sanktionen nicht?

Kutschaty: Unser Sanktionensystem muss flexibler werden. Im Erwachsenenstrafrecht kennen wir eigentlich nur die Freiheitsstrafe und die Geldstrafe. Beides passt manchmal nicht so richtig. Es gibt Leute, die bekommen eine Geldstrafe, und wir wissen von vornherein, sie können die nicht bezahlen.

Dann kommt es zur Ersatzfreiheitsstrafe.

Kutschaty: Und das blockiert Haftplätze, allein 1000 in Nordrhein-Westfalen. Wenn man solche Leute ins Gefängnis bringt, verliert der Staat gleich zweimal: Er bekommt die Geldstrafe nicht und bezahlt auch noch die Unterbringung. Hier muss es eine alternative Sanktionsform geben, wie insbesondere gemeinnützige Arbeit. Und dann gibt es auch diejenigen, die zahlen können, die aber von einer Geldstrafe unbeeindruckt sind.

Und da kommen dann die neuen Sanktionen ins Spiel?

Kutschaty: Ich finde, die Richter müssen einen Werkzeugkoffer haben, aus dem sie sich herausnehmen können, was für den jeweiligen Fall angemessen ist. Beispiel Stadionverbot: Bisher kann das nur der Verein unter Berufung auf sein Hausrecht aussprechen. Warum diese Sanktion nicht auch einem Richter an Hand geben: Jetzt gehst du mal ein Jahr nicht zu deinem Lieblingsverein.

Und die Vermögensstrafe?

Kutschaty: Die Geldstrafe wird berechnet nach dem laufenden Einkommen. Um es plastisch zu machen: Wenn einer in einer Riesenvilla wohnt und 1000 Kilo Gold im Keller hat, aber die laufenden Einkünfte gering sind, dann trifft ihn die Geldstrafe gar nicht. In einem solchen Fall könnte eine Vermögensstrafe angemessen sein. Natürlich in einem gedeckelten Rahmen. Strafe muss man auch spüren.

Zu einem anderen Thema, dem Strafvollzug. Aus der Wuppertaler JVA ist vor ein paar Wochen Munition abhanden gekommen. Wie hat sich der Fall weiterentwickelt?

Kutschaty: Das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Waffenwarte läuft. Sie wurden vom Dienst suspendiert. Nun gilt in allen 36 Haftanstalten im Land eine engmaschigere Kontrolle des Munitionsbestands. Mit externer Prüfung.

In Wuppertal Ronsdorf hat es auch den Fall gegeben, dass ein Gefangener einen anderen getötet hat. War das nicht zu verhindern?

Kutschaty: Generell gilt, dass man im Strafvollzug überlegen muss, wie nimmt man Gefangenen ihre Gefährlichkeit und ihre kriminelle Energie? Das kann man machen, indem man sie isoliert. Dann kann keiner einem anderen etwas antun. Das ist für den Minister die sicherste Variante. Doch am Tag der Haftentlassung ist er unser Nachbar oder wir treffen ihn im Supermarkt. Wir müssen die Gefangenen schon im Vollzug wieder schrittweise an die Freiheit gewöhnen. Das birgt gewisse Restrisiken. Aber das Risiko für die Allgemeinheit wäre viel größer, wenn wir die Menschen ohne Resozialisierung in die Freiheit entlassen und ausschließlich auf die Sicherheit in der Haftanstalt achten. Wenn man Menschen isoliert hält, werden sie später zu tickenden Zeitbomben.

Immer wieder kommt es zu Selbsttötungen in Haftanstalten — zwischen zehn und zwölf in einem Jahr. Wäre eine Rund-um-die-Uhr-Videobeobachtung eine Lösung, um solche Fälle zu verhindern?

Kutschaty: Jeder Fall ist einer zu viel. Wir haben eine psychologische Untersuchung jedes neuen Strafgefangenen auf eine mögliche Suizidgefährdung, besonders gesicherte Hafträume bei akuter Gefährdung und gegebenenfalls eine eng getaktete Kontrolle des Gefangenen. Aber wir können und wollen niemanden 24 Stunden überwachen. Wollen sie die Menschen auch per Kamera überwachen, wenn sie auf die Toilette gehen? So etwas könnte einen noch mehr in die Verzweiflung treiben.

Wie steht es um eine andere Gefahr im Strafvollzug - dass etwa islamistische Prediger andere Gefangene in ihrem Sinne bekehren?

Kutschaty: Gefährder in diesem Sinne isolieren wir von anderen, die sie anstecken könnten. Sie dürfen keinen unbeobachteten Umgang mit anderen haben. Hier hat übrigens gerade der Landtag ein Programm aus unserem Hause „Deradikalisierung im Strafvollzug“ abgesegnet. Mit 79 weitere Stellen und Sachmitteln. Da geht es zum Beispiel um Antworten auf Respektlosigkeit von rund 750 inhaftierten Nordafrikanern insbesondere gegenüber den weiblichen Bediensteten. Da geht es darum, ein Mindestmaß an Respekt zu vermitteln. Es geht um muslimische Seelsorge. Wir haben in der Justiz bereits vier Islamwissenschaftler eingestellt. Hier können Bedienstete die unsere Mitarbeiter schulen, Rat einholen, Etwa, wie man Radikalisierungstendenzen erkennt, wie man gegensteuern kann.

Auf dem Juristentag in Essen haben Sie deutliche Worte gegen die AfD gefunden. Sie haben gesagt, dass das AfD-Programm ein Angriff auf unseren Rechtsstaat ist.

Kutschaty: Da wird behauptet, unsere Justiz funktioniert nicht mehr und wir müssten sie neu aufstellen. Das verkennt vollkommen die Leistung der Justiz. Allein wir in NRW haben im Jahr eine Million Ermittlungsverfahren.

Welche konkreten Programmpunkte kritisieren Sie?

Kutschaty: Die AfD will, dass Kinder schon ab zwölf Jahren strafmündig sind. Kinder gehören auf die Schulbank und nicht ins Gefängnis. Und die AfD will, dass jemand ohne jeden Haftgrund wie Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr bereits bei dringendem Tatverdacht in Haft kommt. Und Drogenabhängige sollen danach in Sicherungsverwahrung genommen werden. All das hat mit Rechtsstaatlichkeit überhaupt nichts mehr zu tun.

Müsste der Verfassungsschutz nicht auch für die AfD zuständig sein?

Kutschaty: Das Gefährliche bei der AfD ist, dass sie ein Klima in Deutschland schafft, das es rechtsextremistischen Gruppen mittlerweile möglich macht, mit einem guten Gewissen auf die Straße zu gehen. Denken Sie an die aktuellen Vorfälle in Bautzen. Wenn es wieder salonfähig wird, dass rechtsradikale Spinner mit Baseballschlägern die Marktplätze für sich erobern und all das geschieht in einem Klima, wo die AfD die Stimmungslage gegen die Flüchtlinge so kolossal verschlechtert hat, dann ist das eine gefährliche Entwicklung.

Sie sind nicht nur NRW-Justizminister, sondern auch SPD-Vorsitzender in Essen. Hier gab es mit Guido Reil einen vielbeachteten Übertritt eines Genossen zur AfD. Ein Einzelfall?

Kutschaty: Er ist der einzige Funktionär, der gewechselt ist. Wir haben in Essen in der Partei eine intensive Diskussion über die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen geführt. Und wie Integration gelingen kann. Dass man Flüchtlinge nicht nur in wenigen Stadtteilen unterbringen darf. Ich erlebe weiterhin eine große Hilfsbereitschaft unter Parteimitgliedern, sich für Flüchtlinge zu engagieren. Die AfD macht ihrerseits keinen Vorschlag, die Probleme zu lösen.

Fehlt uns ein rechtliches Instrument, wenn es darum geht, Flüchtlinge gerechter zu verteilen oder zu integrieren?

Kutschaty: Aus keinem Land werden mehr Flüchtlinge zurückgeführt als aus Nordrhein-Westfalen. Und mit der Wohnsitzauflage haben wir jetzt auch ein gutes Instrument für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge. Es ist doch wahnsinnig, wenn in den neuen Bundesländern leerstehende Häuserblöcke abgerissen werden müssen und wir hier Zelte aufbauen. Es ist auch eine integrationsfördernde Maßnahme, wenn die Flüchtlinge sich nicht auf die Großstädte konzentrieren, sondern aufs ganze Land verteilt werden.

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