Jeder Fünfte hat ausländische Wurzeln

Viele Migranten sind noch nicht in der deutschen Wissensgesellschaft angekommen.

Wiesbaden. Fast jeder fünfte Bürger Deutschlands hat Wurzeln im Ausland. Die meisten Migranten stammen aus der Türkei, aber fast ebenso viele aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Gut acht Prozent der 15,6 Millionen Einwohner mit Migrationshintergrund lassen sich dem Statistischen Bundesamt zufolge aber gar nicht mehr einem Herkunftsland zuordnen.

"Die Einwanderungsgesellschaft wird immer vielfältiger, obgleich die Zuwanderung sinkt", sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus J. Bade.

Weil die Einwohner mit Migrationshintergrund im statistischen Durchschnitt insgesamt deutlich niedrigere Schul- und Berufsabschlüsse haben und häufiger erwerbslos sind als das Gros der Gesellschaft, fordert die Fachwelt einhellig Bildungsinvestitionen. "Mangelnde Chancengleichheit frisst den sozialen Frieden und ist damit auf Dauer auch eine Gefahr für die Demokratie", mahnt Bade.

Sören Petermann vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften stellt fest: "Der Nachwuchs deutscher Personen ohne Migrationshintergrund ist schon in der Minderheit." Gerd R. Hoff von der FU Berlin betont, diese Kinder müssten sich mit der Mehrheitsgesellschaft identifizieren. "Das tun sie nur, wenn wir ihnen die Bildungsangebote machen und nicht, wenn wir sie separieren."

Migrationsforscher Bade nennt drei Ursachen für das niedrigere Qualifikationsniveau der Zuwandererbevölkerung: "Viele stammen aus dem Sozialmilieu der ehemaligen ,Gastarbeiterbevölkerung’, und das deutsche Bildungssystem zementiert die Vererbung der sozialen Startnachteile über Generationen hinweg."

Deutschland habe zudem lange ausländische Abschlüsse und Berufserfahrungen nicht anerkannt und damit viel Potenzial verschleudert. "Nullnummern am Arbeitsmarkt aber werden zu Nullnummern in der Statistik, denn nicht anerkannte Qualifikationen laufen in der Statistik als fehlende Qualifikationen."

Erziehungswissenschaftlerin Ursula Neumann von der Uni Hamburg ergänzt: Viele Einwanderer seien gar nicht so niedrig qualifiziert wie es in der Statistik scheine, aber ihre Berufsabschlüsse würden bei Kammern, Ärzten und Schulämtern nicht anerkannt.

Als Beispiel nennt sie Deutsch-Lehrerinnen aus Russland oder Kasachstan. Das überfällige "Anerkennungsgesetz" sei endlich auf den Weg gebracht, sagt Bade. "Für Hunderttausende hoch qualifizierter Zuwanderer kommt dieses Gesetz aus Altersgründen aber zu spät. Sie sind schon als Taxifahrer oder Hausmeister in Rente gegangen."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort