Islamexperte: "Erdogans kurzsichtige Politik rächt sich"

Die Terroranschläge in der Türkei sind nach Ansicht des IS- und Türkei-Experten Wilfried Buchta auch Folge des Vorgehens des türkischen Präsidenten Erdogan.

 Der Flughafen Atatürk nach den Anschlägen Dienstagabend.

Der Flughafen Atatürk nach den Anschlägen Dienstagabend.

Foto: Sedat Suna

Istanbul. Die Terroranschläge in der Türkei sind nach Ansicht des IS- und Türkei-Experten Wilfried Buchta auch Folge des Vorgehens des türkischen Präsidenten Erdogan. Im Land herrsche mittlerweile ein Zweifrontenkampf, so Buchta im Gespräch mit unserer Redaktion.

F: Herr Buchta, warum nimmt der IS offenbar verstärkt die Türkei ins Visier?

A:
Die Türkei engagiert sich offiziell jetzt mehr in der Anti-IS-Koalition. Das ist der Grund. Wobei man nicht genau weiß, ob Präsident Erdogan es mit diesem Engagement ernst meint.

F: Weil es bisher immer hieß, Ankara unterstütze den IS?

A:
Richtig. Der IS und auch andere islamistische Organisationen sind bisher heimliche Verbündete von Erdogan im Kampf gegen das syrische Assad-Regime gewesen. Sein Devise lautet: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Deswegen sollen IS-Kampfverbände auch Empfänger von türkischen Waffenlieferungen gewesen sein. Deswegen konnten sich islamistische Kämpfer immer wieder in den Ruheraum Türkei zurückziehen. Dort wurden auch Soldaten seitens des IS rekrutiert. Inwieweit Erdogan das selbst gedeckt hat, lässt sich nicht genau sagen.

F: Woher ist dann Erdogans Sinneswandel gekommen?

A:
Dass er eine Kurskorrektur im Umgang mit dem IS vorgenommen hat, ist offenkundig. Seine Annäherung an Russland, das ja den syrischen Machthaber Assad massiv unterstützt, ist auch ein Signal Erdogans an den IS gewesen, den Kampf gegen die Dschihadisten ernsthafter führen zu wollen. Ich glaube, dass Erdogan dem massiven Druck der USA nachgegeben hat. Deswegen engagiert sich Ankara jetzt verstärkt in der Anti-IS-Koalition. Nun aber rächt sich Erdogans kurzsichtige Politik, da sich seine und die Interessen des IS nicht mehr decken. Der IS entzieht sich der Kontrolle Ankaras und überzieht seinen ehemaligen Förderer mit Terror.

F: Gleichzeitig kämpft die Türkei gegen die Kurden. Droht nach den jüngsten Attentaten umso mehr ein Zweifrontenkampf?

A:
Den gibt es schon. Was in der Osttürkei mit den Kurden geschieht, ist ein Guerillakrieg, der sich zu einem Bürgerkrieg innerhalb des Landes ausweiten könnte. Hilfsorganisationen berichten, dass dort bereits Hunderttausende Kurden vertrieben und möglicherweise Zehntausende getötet worden sind. Auch von dieser Seite drohen also vermehrt Terroranschläge.

F: Nimmt Erdogan die Konsequenzen, die der Terror für sein Land hat, bewusst in Kauf?

A:
Ja, das glaube ich. Erdogan hat ein nationalistisches Klima geschaffen, durch das er seine Machtbasis erweitern und die Türkei in eine Präsidial-Diktatur verwandeln will. Nur darum geht es ihm. Eines ist aber auch klar: Wenn Herr Erdogan diesen Kurs weiter verfolgt, wird der Konflikt irgendwann auch auf den Straßen in Deutschland ausgetragen werden. Da bin ich mir sicher.

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