Interview: Terrorismus-Experte Rolf Tophoven - „Ein einseitiger Rückzug wäre das Ende der Nato“

Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven sieht die Bundeswehr noch lange in Afghanistan.

Düsseldorf. WZ: Herr Tophoven, SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier will nach der Bundestagswahl einen konkreten Abzugsplan der Bundeswehr aus Afghanistan vorlegen. Ist das realistisch?

Tophoven: Die Sicherheitslage gerade im Raum Kundus lässt die genaue Beschreibung eines Abzugsdatums nicht zu. Zunächst müssen afghanische Polizei und Armee in die Lage versetzt werden, eine gewisse Sicherheit und Stabilität im Land selbst zu gewährleisten.

WZ: Welche Folgen hätte ein Rückzug?

Tophoven: Ein überstürzter Rückzug würde in der Wahrnehmung der Taliban als Niederlage des Westens interpretiert. Aber man kann den deutschen Einsatz nicht isoliert sehen.

WZ: Weil die Nato nicht mitspielt?

Tophoven: Ein einseitiger Rückzug wäre das Ende der Nato. Die Deutschen sind der drittgrößte Truppensteller. Wir können gewisse Verpflichtungen, die wir der Nato und den USA gegenüber haben, nicht aufkündigen. Insofern ist es richtig, dass die Große Koalition entschieden hat, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten.

WZ: Auch das würde sonst wieder den Taliban in die Hände spielen?

Tophoven: Ganz bestimmt sogar. Deshalb habe ich auch kein Verständnis für die Äußerungen von Ex-Verteidigungsminister Rühe im "Spiegel": Er sprach von einem Rückzug in zwei Jahren und einem bisherigen Desaster des Einsatzes. Das spielt der Propaganda der Taliban in die Hände.

WZ: Sind die Deutschen kopflos in den Einsatz gegangen?

Tophoven: Es ist sicher so, dass die Politik mit dieser Eskalation im Norden Afghanistans zunächst wohl nicht gerechnet hat. Auf der anderen Seite aber gilt: Wenn man die Bundeswehr heute in Auslandseinsätze schickt, sind das keine Schönwetter-Einsätze. Das weiß auch die Regierung.

WZ: Sollte man das dann nicht auch der Bevölkerung genau so sagen?

Tophoven: Man muss das Engagement, den Einsatz sowie die Leistungen unserer Soldaten in der Öffentlichkeit besser verkaufen. Wenn Verteidigungsminister Jung nicht von Krieg spricht, obschon in der Bevölkerung diese Meinung vorherrscht, hat er natürlich Recht, solange er von der völkerrechtlichen Definition von Krieg ausgeht. Man müsste sich aber auf das Wort Guerilla-Krieg einigen. Denn den führen die Taliban immer professioneller. Da merkt man zum Beispiel die Ausbildung ihrer Sprengstoffspezialisten in Pakistan. Dort sitzen die Profis, die die Ausbilder der Ausbilder trainieren und nach Afghanistan einschleusen.

WZ: Sollte man dann nicht gleich den militärischen Schwerpunkt auf die Grenzregion zu Pakistan legen?

Tophoven: Diese fast 2500 Kilometer lange Grenze ist militärisch nicht zu kontrollieren. Zudem können wir deutsche Soldaten nicht in dieses Gebiet schicken, weil das dem originären Auftrag der Bundeswehr widerspricht.

WZ: Was ist also nötig?

Tophoven: Eine neue Strategie, wie es jetzt die USA machen: Widerstandsnester ausheben, aber die Position halten und ausbauen sowie den Menschen Sicherheit geben. Parallel dazu muss die zivil-militärische Aufbauarbeit intensiviert werden. Militärisch allein ist da nichts zu gewinnen.

WZ: Von Peter Struck stammt der Satz, dass die Freiheit Deutschlands auch am Hindukusch verteidigt wird. Gilt der noch?

Tophoven: Einst habe ich ihn als populistische Aussage belächelt. Ich dachte, hier werde kein Terroranschlag durch die Präsenz der Deutschen am Hindukusch verhindert. Verhindert wird er durch die Wachsamkeit unserer Sicherheitsbehörden. Das gilt nach wie vor. Dennoch sehe ich Strucks Aussage heute etwas anders. Rückblickend war Afghanistan unter Taliban-Herrschaft ein Disneyland für Terroristen. Wenn wir zurückkehren zu einer Situation vor dem 11. September 2001, dann müssen wir damit rechnen, dass dort Dutzende neue Terrorcamps entstehen.

WZ: Wie lange bleibt die Bundeswehr in Afghanistan?

Tophoven: Nach Rücksprache mit unseren Nato-Partnern muss der neue Bundestag eine klare Exit-Strategie definieren, die sich aber an den Verhältnissen und nicht an Zeiträumen definiert.

WZ: Ist nach der Wahl in Afghanistan eine Bestandsaufnahme nötig?

Tophoven: Man muss den neuen Präsidenten in die Pflicht nehmen, tätig zu werden. Am Ende müssen die Taliban womöglich eingebunden werden. Wichtig wird sein, inwieweit Ex-Taliban-Chef Mullah Omar, der in Pakistan sitzt, von der Leine des pakistanischen Geheimdienstes ISI gelassen wird. Das ist entscheidend für die Entwicklung in Kabul.

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