Jahrestagung im Saarland Zukunft von ARD und ZDF: Gehören Sinfonieorchester zur Grundversorgung?

Von Donnerstag an treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder zur ihrer Jahrestagung im Saarland. Auf dem Programm: Die Zukunft von ARD und ZDF.

Jahrestagung im Saarland: Zukunft von ARD und ZDF: Gehören Sinfonieorchester zur Grundversorgung?
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Köln/Saarbrücken. Als Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), in der Landesregierung mittlerweile auch für Medien zuständig, dem WDR-Sinfonieorchester am 8. Oktober in Köln zum 70. Geburtstag gratulierte, lobte der Landesvater unter anderem dessen Rolle, „Botschafter“ weit über die Landesgrenzen hinaus zu sein. Es sei eine Institution. „Die Rundfunksinfonieorchester sind ein unverzichtbarer Teil der Kulturlandschaft“, sagte Laschet unter heftigem Applaus der Besucher des Jubiläumskonzerts.

Jahrestagung im Saarland: Zukunft von ARD und ZDF: Gehören Sinfonieorchester zur Grundversorgung?
Foto: WDR/Thomas Brill

Von Donnerstag an trifft sich Armin Laschet mit den anderen Länderchefs zur Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten in Saarbrücken. Auf dem Tisch: Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Auftrag und Strukturoptimierung der Rundfunkanstalten“. Die Anweisung der Länderchefs aus dem Jahr 2016 war eigentlich klar und verständlich: Die Gruppe auf Staatssekretärsebene sollte überprüfen, was eigentlich künftig der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und Deutschlandradio sein soll, und welche Struktur dazu sinnvoll wäre: Wie ist künftig die Aufgabe zu verstehen, „zur Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung einen Beitrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt und somit zur öffentlichen Meinungsbildung“ zu leisten, als „Grundversorgung“?

Gehören Sinfonieorchester zur Grundversorgung? Müssen zur Gewährleistung eines flächendeckenden Rundfunk-Empfangs und eines vielfältigen Programmangebots für die Allgemeinheit wirklich 21 Fernsehprogramme, 66 Radioprogramme und mehr als 120 Online- und App-Angebote zum Preis von mehr als acht Milliarden Euro betrieben werden? Bei den Antworten auf diese Fragen geht es — auch — um das Thema Beitragsstabilität. Nach der umstrittenen Finanzierungsumstellung 2013 von der alten GEZ (geräteabhängig; wer nutzt, zahlt) auf den steuerähnlichen Rundfunkbeitrag (jeder zahlt, auch ohne Nutzung) haben ARD und ZDF Überschüsse in Milliardenhöhe angehäuft.

Daher empfahl 2016 die formal unabhängige „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“, ab 2017 den Beitrag für die Gebührenperiode bis 2020 von monatlich 17,50 auf 17,21 Euro abzusenken. Dieser Empfehlung folgten die Ministerpräsidenten nicht. Denn gleichzeitig lautete die Prognose, dass der Beitrag ab 2021 auf 18,50 oder mehr als 19 Euro steigen müsste — wenn sich bei ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht grundsätzlich etwas ändert. Deshalb die Arbeitsgruppe.

Was die Ministerpräsidenten dazu heute vor allem von ARD-Seite auf dem Tisch liegen haben, ist gelinde gesagt etwas dünn: 951 Millionen Euro will die ARD einsparen, allerdings nicht pro Jahr, sondern insgesamt bis zum Jahr 2028. Streichen und aufgeben will sie in Wahrheit überhaupt nichts; elf Kooperationsprojekte kann sie sich mit dem ZDF vorstellen, 15 mit dem Deutschlandradio. Um über die Dürftigkeit des Ergebnisses hinwegzutäuschen, schickten die Sender im September eine Lobbyisten-Gruppe aus Medienwissenschaftlern und Interessenvertretern mit zehn Thesen zur angeblichen „Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“ vor. Im Ergebnis lautete der Vorschlag aus der ARD-Fankurve, das von der Verfassung geschützte duale System aus freier Presse und Rundfunk aufzukündigen und die wirtschaftliche Basis der Zeitungen und Zeitschriften anzugreifen.

Damit freie Presse, angewiesen auf Verkaufs- und Anzeigenerlöse, und gebührenfinanzierter Rundfunk nebeneinander existieren können, sind in den Rundfunkstaatsverträgen rote Linien festgeschrieben: Es ist den gebührenfinanzierten Sendern verboten, eine flächendeckende Lokalberichterstattung anzubieten, in großem Stil presseähnliche Textangebote ohne Sendungsbezug zu verbreiten und mit unbegrenzten Mediathek-Angeboten privaten Video- und Streaming-Anbietern kostenlose Konkurrenz zu machen. Ende September 2016 entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln, dass das nicht sendungsbezogene Angebot der „Tagesschau“-App presseähnlich ist und damit gegen den Rundfunkstaatsvertrag verstößt. Geklagt hatten acht Zeitungsverlage gegen die Ausgabe vom 15. Juni 2011.

Die ARD schert sich bislang nicht um dieses Urteil, vor allem will sie künftig keine der ihr gesetzten Grenzen mehr akzeptieren, sondern verlangt nach unkontrollierter und ungeregelter Ausdehnung in die Märkte der privaten Anbieter. Der Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV) betrachtet die Fülle öffentlich-rechtlichen Nachrichten-Apps inzwischen als einen gezielten Angriff auf die Vielfalt der Presselandschaft.

Auf der Stuttgarter BDZV-Jahrestagung im September bat BDZV-Präsident Mathias Döpfner (Springer) den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne), „bei der Gesetzgebung künftig deutlich stärker auf die Belange der Presseverlage zu achten. Sonst entsteht eine für uns mittelfristig lebensbedrohliche Schieflage gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und das duale System in Deutschland — eines der besten der Welt — gerät ins Wanken. Es braucht die Vielfalt der privaten Angebote. Nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz — das wäre eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea.“

Daraus machte die ARD eine anklagende (und für die Zuschauer völlig unverständliche Nachricht) „Tagesschau“-Nachricht, Döpfner habe ARD und ZDF als Staatsfernsehen beschimpft und mit Nordkorea verglichen. Ähnlich empfindlich und überzogen reagierte die ARD vor zwei Wochen auf den „Spiegel“-Titel „Die unheimliche Macht: Wie ARD und ZDF Politik betreiben.“ Darin konstatierte das Magazin zutreffend: „Im Lobbyistenstreit zwischen Verlegern und öffentlich-rechtlichen Sendern mag sich ein Riss auftun. Zwischen den Sendern und Teilen ihres Publikums öffnet sich gerade eine Kluft.“ Tatsächlich senkt vor allem die Finanzierung durch den Zwangsbeitrag für nicht bestellte und von kompletten Bevölkerungsgruppen nicht genutzte Medienleistungen die Akzeptanz von ARD und ZDF auf immer neue Tiefpunkte.

Davon will man bei den Sendern nichts wissen. In dem ARD-Papier zur „Auftrags- und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, das die Ministerpräsidenten am Mittwoch auf dem Tisch liegen haben, schlagen die Sender-Hierarchen einen Ton an, als seien sie die Eigentümer der deutschen Öffentlichkeit: „Unsere publizistische Vielfalt, unsere multimediale Struktur sowie die tiefe Verankerung in allen Regionen Deutschlands ermöglichen es uns, wie kein anderes deutsches Medienangebot Gesamtöffentlichkeit herzustellen und den gesellschaftlichen Diskurs über die Fragen unseres Landes zu fördern.“

Das ist nachweislich falsch. Denn der Bereich „Politik und Gesellschaft“ macht am Ersten Programm der ARD laut eigenen Angaben gerade einmal 30,6 Prozent aus. Und während das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung bei 44 Jahren liegt, hat sich das der Zuschauer von ARD und ZDF seit 2001 laut einer McKinsey-Studie um 4,5 auf 62 Jahre erhöht. Das gilt nicht nur für das klassische lineare Fernsehen: Auch im Internet, bei Twitter und bei Facebook funken die Öffentlich-Rechtlichen an der jungen Zielgruppe vorbei. Dagegen lesen 60,4 Millionen Deutsche ab 14 Jahren regelmäßig Zeitung. Aktuell erreichen die Zeitungen mit ihren Printausgaben und Digitalauftritten 86,9 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung.

Statt sich aber auf die Stärkung ihrer unbestrittenen Stärken zu konzentrieren, arbeitet sich die ARD lieber an ihren Wettbewerbern ab — mit kleinen Auslassungen in der Argumentationskette: „Während kommerzielle Anbieter immer mehr Bezahlschranken aufbauen und damit Menschen ausschließen, die diesen Zugang nicht bezahlen können, garantieren wir allen Bürgerinnen und Bürgern die freie und uneingeschränkte Nutzung unserer vielfältigen Angebote im Radio, im Fernsehen und im Netz — und das in höchster journalistischer und technischer Qualität.“

Die ARD vergisst hier zu erwähnen, dass sie Verweigerer des monatlichen Rundfunkbeitrags mit Zwangsvollstreckungen und Gefängnis bedroht. Gleichzeitig sind es ARD und ZDF, die im europaweiten Vergleich den höchsten Anteil an den monatlichen Ausgaben für Medien pro Haushalt hat: Von den 39 Euro, die ein deutscher Haushalt im Durchschnitt monatlich für Medien ausgibt, streichen ARD und ZDF satte 42 Prozent ein. Zu Deutsch: Sie treiben erst die Kosten hoch, um dann zu behaupten, sie garantierten den freien Empfang. Richtig ist das Gegenteil: Nirgendwo in Europa lässt die öffentlich-rechtliche Rundfunkfinanzierung den Bürgern prozentual weniger Geld für privatfinanzierte Medien und damit für Medienvielfalt.

Die Ministerpräsidenten sind uneins, wie es mit ARD und ZDF weitergehen soll. Horst Seehofer (CSU) ist unverändert dafür, ARD und ZDF zu fusionieren, weil er die Doppelstruktur für überflüssig hält. Die gastgebende Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) findet, dass die Gebühren steigen müssen, weil der Finanzbedarf der Sender steige. Armin Laschet will eine Steigerung nicht ausschließen, hat den Verlegern zugesagt, auf ihre Belange zu achten, will aber eben auch keine heiligen Kühe wie das WDR-Sinfonieorchester schlachten. Es zeichnet sich ab, dass in Saarbrücken weder zur Zukunftsstruktur noch zur Gebührenhöhe eine Entscheidung fallen wird.

Vom 21. bis zum 29. Oktober geht das WDR-Sinfonieorchester wie schon 2014 auf Japan-Tournee. Es sind neun Konzerte geplant, die wohl kein Gebührenzahler in NRW jemals hören wird. Zum Orchester gehören 119 Musiker und etwas über ein Dutzend Verwaltungsmitarbeiter. Das zu bewegende Reisegewicht beträgt 9260 Kilogramm. Die Tarifgehälter bei Orchestern dieser Größe reichen von rund 2600 bis etwa 3700 Euro; bei der ARD liegen viele weit über 5000 Euro. Hinzu kommen Tätigkeitszulagen bis etwa 600 Euro, dazu weitere Zulagen für Instrumente, Garderobe, Saitenabnutzung und dergleichen mehr. Die jährlichen Kosten üppig ausgestatteter und mit internationalen Gästen arbeitender Sinfoniker übersteigen schnell 15 Millionen Euro im Jahr; genaue Zahlen will niemand nennen.

Wer „Kulturorchestern“, so der bis heute benutzte Begriff aus der Nazi-Zeit für Ensembles „ernst zu wertender Musik“, mit dem Rotstift droht, bekommt es mit der „Deutschen Orchestervereinigung“ zu tun. Der Lobby-Verein, hinter dem ein zahlenmäßig kleines, aber konfliktfähiges Publikum steht, kämpft für jede dieser Kapellen und will gleich die ganze deutsche Theater- und Orchesterlandschaft als „immaterielles Kulturerbe“ von der Unesco geschützt wissen.

Das alles ist verständlich. Aber laut Landes-Statistik gibt es in NRW zwölf, laut Orchesterkonferenz Nordrhein-Westfalen sogar 20 weitere überwiegend kommunal finanzierte „Kulturorchester“ mit rund 1700 Profi-Musikern, die weit über 1500 Konzerte pro Jahr spielen. Braucht es da wirklich ein WDR-Sinfonieorchester? Neben dem WDR-Rundfunkorchester? Und dem WDR-Rundfunkchor? Und der WDR-Bigband? Schon vor 15 Jahren lagen die Kosten nur der WDR-Klangkörper jährlich bei rund 40 Millionen Euro. Müssen die ARD-Anstalten gemeinsam bundesweit gleich zwölf Sinfonie-Orchester unterhalten? „Keine andere Nation leistet sich eine annähernd opulente öffentlich-rechtliche Musik-Armada. Ihre Auftritte machen die ARD zum größten Konzertveranstalter Deutschlands“, staunte der „Focus“ im Jahr 2003, „sogar zum größten E-Musik-Produzenten der Welt“. Daran hat sich seitdem nichts geändert. Es ist nur teurer geworden.

Die eigentliche Frage müsste lauten: Was hat das alles mit dem grundgesetzlichen Auftrag der „Grundversorgung“ zu tun? Und wieso müssen die Zwangsgebührenzahler dafür aufkommen? Schon der Tagungsort, den die Ministerpräsidenten in Saarbrücken gewählt haben, spricht dafür, dass es darauf keine Antwort geben wird: Sie treffen sich in Saarbrücken auf Schloss Halberg — dem Sitz der Intendanz des Saarländischen Rundfunks.

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