Berlin - Essen Vita gefälscht: Petra Hinz tritt zurück

Jahrelang baute die Essener Abgeordnete der SPD im Bundestag ihre Karriere auf falschen Angaben zu Schule und Studium auf. Nun musste sie ihr Mandat niederlegen.

Berlin - Essen: Vita gefälscht: Petra Hinz tritt zurück
Foto: dpa

Berlin/Essen. Der Ruf, der Petra Hinz (54) im Parlament umgab, hatte etwas vom berühmten Donnerhall. Im Bundestag stauchte die SPD-Abgeordnete aus Essen, immerhin Mitglied des Haushaltsausschusses, andere Abgeordnete auch schon mal zusammen. Die Zeiten sind vorbei. Ein extrem geschönter Lebenslauf hat ihre politische Karriere jäh beendet. Mittwochnachmittag legte die Genossin ihr Mandat nieder.

Hinz hatte über Jahrzehnte angegeben, 1984 ihr Abitur gemacht und von 1985 bis 1995 Rechts- und Staatswissenschaften studiert sowie zwei Staatsexamina absolviert zu haben. Anschließend will sie als Juristin gearbeitet haben. Hinz ist seit 2005 Mitglied des Parlaments. Das stimmt, der Rest nicht. Der war geflunkert, gelogen, gefälscht, wie immer man will. Auf der Internetseite des Bundestages, auf der man die Biografien der Abgeordneten nachlesen kann, war die Schummelei am Mittwoch bereits gestrichen. Ebenso auf ihrer Homepage. Und die Facebook-Seite der SPD-Frau konnte nicht aufgerufen werden.

Denn nach Medienberichten fiel Lügengebäude plötzlich wie ein Kartenhaus zusammen. Hinz schaltete schnell einen Anwalt ein, der mitteilte, sie bitte „all die Menschen, die ihr vertraut haben, und auch die allgemeine Öffentlichkeit von ganzem Herzen um Entschuldigung“. Hinz habe zwar im Jahr 1983 ihre Fachhochschulreife erworben. Sie habe jedoch weder ihr Abitur gemacht, noch ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert und außerdem keine juristischen Staatsexamina abgelegt, heißt es in der Erklärung ihres Anwaltes. Nachzulesen auf Hinz Internetseite. In der Rückschau wisse sie nicht mehr, welche Gründe sie zu den falschen Angaben veranlasst hätten. So der Anwalt. Die SPD ist entsetzt über die Hochstaplerin in ihren Reihen

Die SPD reagierte entsetzt — nicht nur im ohnehin von Skandalen gebeutelten Unterbezirk Essen, sondern auch in der Berliner Bundestagsfraktion. Groß ist die Überraschung, dass es eine Hochstaplerin in ihren Reihen bis in den Bundestag schaffte. Dabei seien Abitur und Studium gerade bei den Sozialdemokraten traditionell keine Eintrittsvoraussetzung für die Politik, betonen SPD-Politiker immer wieder. Ein knappes Jahr vor der Landtagswahl in NRW kommt die Affäre zur schlechten Zeit für die Sozialdemokraten. Entsprechend schnell forderten SPD-Politikern Hinz zum sofortigen Rücktritt auf. „Wir alle sind schockiert, dass Petra Hinz uns 30 Jahre lang eine falsche Biografie aufgetischt hat“, sagte NRW-Justizminister Thomas Kutschaty als Chef des SPD-Unterbezirks Essen.

Immerhin schien das schlechte Gewissen Hinz zu plagen. Sie war bereits über 30 Jahre alt, als sie Mitte der 90er Jahre nach Angaben ihres Anwalts auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholen wollte, um „so zumindest einen Teil ihrer biografischen Falschangaben zu heilen“. Damals war Hinz bereits Mitglied im Essener Stadtrat, gab aus Zeitgründen die Schule aber wieder auf. Die Lebenslüge begleitete Hinz auf ihrem Weg, bis sie 2005 erstmals in den Bundestag gewählt wurde. In all den Jahren habe Hinz nicht die „Courage“ aufgebracht, für ihr Fehlverhalten geradezustehen, so der Anwalt.

Falsche Ärzte, falsche Piloten, falsche Priester — immer wieder gibt es Fälle, in denen Menschen ihren Lebenslauf fälschen, nachdem sie bei Prüfungen gescheitert sind. Für Psychologen ist so ein Verhalten nicht überraschend. „In Deutschland sind Zertifikate und Abschlüsse sehr wichtig — was ein Mensch wirklich kann, zählt hingegen weniger“, sagt der Psychologe Sebastian Bartoschek der „Bild“-Zeitung. Sei man erst einmal mit einer Lüge durchgekommen, vergesse man sie nicht. „Sie meldet sich im Gewissen immer wieder.“ Später komme Panik auf, dass sie auffliegt. „Der Mut, sie selbst zuzugeben, ist dann natürlich dahin.“

Offiziell hat kein Parteikollege in all den Jahren an den angeblichen Karrierestationen von Hinz gezweifelt. Als sie vor wenigen Tagen ankündigte, dass sie nicht mehr bei der Bundestagswahl 2017 kandidieren werde und auch ihr Amt als stellvertretende Essener Parteichefin abgebe, zeigte sich NRW-Minister Kutschaty noch überrascht. „Ich bedaure ihren Rückzug sehr“, sagte er.

In diesem Zusammenhang kam aber auch heraus, dass es zuvor einen anonymen „offenen Brief“ an die Essener SPD gegeben hatte, in dem Hinz Mobbing in ihrem Berliner Bundestagsbüro vorgeworfen wurde. Hinz wies diesen als „verleumderische Diffamierung“ zurück.

Pascal Hesse, Politik-Redakteur des Essener Nachrichten-Magazins „Informer“, hat die Geschichte aufgedeckt. Durch Hartnäckigkeit und gute Vernetzung. Nachdem Hesse sich mit den Mobbingvorwürfen gegen die Essener Abgeordnete auseinandergesetzt hatte, seien unterschiedlichste Informanten auf ihn zugekommen. Auch aus dem Essener SPD-Umfeld. „Dass Frau Hinz das zweite Staatsexamen nicht haben soll, wusste ich seit einigen Monaten, aber das genügte mir nicht. Als man mir berichtete, sie habe statt des Abiturs einen Hauptschulabschluss, habe ich die Recherche begonnen.“

Leider habe Hinz sich nicht kooperativ gezeigt, weshalb Hesse Anfragen an unterschiedlichen Stellen des Polit-Apparates stellte. Unter anderem bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). „Immerhin schien die Biografie auf der Homepage des Bundestages ja falsch zu sein. Und war es auch. Wie ich höre, haben einige hochrangige SPD-Politiker davon gewusst.“ Dabei spielt es für den Journalisten (29) keine Rolle, welche Bildungsabschlüsse Politiker vorweisen. „Mich interessiert, wie glaubwürdig die Person ist, die von den Essener Bürgern gewählt wird. Und das ist Frau Hinz definitiv nicht mehr.“

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