UN-Bericht: Klimawandel schreitet ungebremst voran

Stockholm (dpa) - Mehr Hitzewellen, steigende Meeresspiegel, extreme Niederschläge: Nach Überzeugung von Experten schreitet der Klimawandel ungebremst voran. Wie der Weltklimarat in seinem neuen Reports berichtet, könnte der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts viel schneller steigen als bislang gedacht.

Die Temperatur wird sich im Extremfall um fast fünf Grad erhöhen. Politiker und Umweltschützer mahnten zur Eile beim Klimaschutz. Fraglich ist, ob das vereinbarte Ziel, die Temperaturerhöhung auf zwei Grad zu begrenzen, noch erreicht werden kann.

Im ungünstigsten Fall steigen die Meeresspiegel bis zu den letzten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts um 82 Zentimeter, heißt es in der am Freitag in Stockholm vorgestellten Kurzfassung des Berichtes. Betrachtet man nur das Jahr 2100 könnten es sogar bis zu 98 Zentimeter sein. Selbst wenn der Klimaschutz erheblich verstärkt würde, seien es mindestens 26 Zentimeter. Für mittlere Breiten - wie Deutschland - rechnen die Experten mit mehr Extrem-Niederschlägen.

„Während sich die Ozeane erwärmen und Gletscher und Eisdecken schmelzen, wird der globale Meeresspiegel weiter steigen, aber schneller, als wir es in den letzten 40 Jahren erlebt haben“, sagte einer der Co-Vorsitzenden, Qin Dahe. Bei seinem letzten Bericht war der Weltklimarat mit ähnlichen Szenarien noch von 18 bis 59 Zentimetern ausgegangen. Zum Vergleich: Zwischen 1901 und 2010 stieg der Meeresspiegel nach den Daten der Forscher um 19 Zentimeter.

Die Temperaturen auf der Erde könnten bis Ende dieses Jahrhunderts nach verschiedenen Szenarien um 0,3 bis 4,8 Grad steigen. Damit bestätigt sich im Groben, was die Forscher in dem Report von 2007 gesagt haben. Außerdem halten die Wissenschaftler es für äußerst wahrscheinlich, dass der Mensch Hauptverursacher der Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist. „Die Menschheit hat also eine Wahl, auf welches Szenario sie hinarbeitet“, sagte Thomas Stocker, koordinierender Hauptautor der Arbeitsgruppe 1.

„Hitzewellen treten sehr wahrscheinlich öfter auf und halten länger an“, teilte der IPCC mit. Die Abkürzung steht für Intergovernmental Panel on Climate Change (Zwischenstaatlicher Sachverständigenrat für Klimaänderungen). Im Zuge der Erderwärmung erwarten die Wissenschaftler, dass feuchtere Regionen auf der Welt mehr Niederschläge und trockenere noch weniger bekommen.

Nie war es dem Bericht zufolge seit Beginn der Wetteraufzeichnungen wärmer als im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. „Mehr Temperaturrekorde sind gebrochen worden als in jedem anderen Jahrzehnt“, sagte der Generalsekretär der Weltmeteorologieorganisation WMO, Michel Jarraud. Für UN-Klimachefin Christiana Figueres sind die Ergebnisse ein Weckruf für die internationale Staatengemeinschaft zum beschleunigten Handeln.

Die Eisdecken in Grönland und der Antarktis haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten an Masse verloren, Gletscher sind weltweit weiter geschrumpft, wie die Forscher schreiben. „Außer der Temperatur hat sich alles beschleunigt“, sagte der Direktor Europäische Klima- und Energiepolitik bei der Umweltschutzorganisation WWF, Stephan Singer.

Aufgrund natürlicher Schwankungen spiegelten Betrachtungen über kurze Zeiträume keine langfristigen Klimatrends wider, so der Report. „Zum Beispiel ist die Erwärmungsrate in den letzten 15 Jahren (...) geringer als die seit 1951 erhobene Rate.“ Die Ozeane haben 90 Prozent der Energie aufgenommen, die das Klimasystem von 1971 bis 2010 gespeichert hat. „Das heißt nicht, dass uns die Ozeane vor der globalen Erwärmung retten“, sagte Stocker.

Auf dem Extremwetterkongress in Hamburg mahnten Forscher zur Eile beim Klimaschutz. Der Report sei „ein ganz deutliches Signal an die Welt“, betonte der Kieler Wissenschaftler Mojib Latif. „Es gibt einen großen politischen Handlungsbedarf, sich endlich auf den Klimakonferenzen zu einigen“, sagte der Professor vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. Professor Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ergänzte: „Wir haben tatsächlich noch weniger Zeit als gedacht.“

Das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, sei nur mit den richtigen Weichenstellungen zu erreichen, sagte Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) in Berlin. Während sich die Bundesregierung in ihrem Kampf gegen den Klimawandel grundsätzlich bestätigt sah, stellten Umweltverbände der bisherigen schwarz-gelben Koalition ein schlechtes Zeugnis aus. Der CDU-Wirtschaftsrat warnte vor Wettbewerbsnachteilen bei deutschen oder europäischen Alleingängen.

„Der Klimawandel ist real, und er passiert in einem alarmierenden Tempo“, warnten die großen Nichtregierungsorganisationen WWF, Greenpeace, der Internationale Gewerkschaftsbund, Oxfam, Friends of the Earth, Actionaid und Christian Aid. In einer gemeinsamen Mitteilung forderten sie die Regierungen zu strengeren Klimaschutzmaßnahmen auf. „Wenn wir bald wirkungsvolle Gegenmaßnahmen ergreifen, können nicht verkraftbare Folgen abgewendet werden“, sagte der Klimaexperte der Umweltorganisation Germanwatch, Manfred Treber.

Für Teil 1 des 5. Klimaberichts hatten 259 Hauptautoren in den vergangenen vier Jahren Tausende Studien ausgewertet. Ihre Kernthesen haben sie auf 30 Seiten zusammengefasst. Der komplette Report erscheint am Montag. Teil 2 und 3 behandeln die Auswirkungen des Klimawandels und die politischen Möglichkeiten, ihn zu bremsen. Sie werden im Frühjahr 2014 in Japan und Berlin präsentiert.

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