Bildung Teil 3: Haben Schüler nur Streifenhörnchen-Kompetenz?

Von der Wissensgesellschaft über den Pisa-Schock zur Kompetenz-Steigerung ohne Wissen: Seit drei Jahrzehnten wird das Bildungssystem zerredet. Schlauere Schüler bringt es nicht hervor.

Der Aufschrei der 130 Mathematikprofessoren und -Lehrer ist lediglich der jüngste Hilferuf.

Der Aufschrei der 130 Mathematikprofessoren und -Lehrer ist lediglich der jüngste Hilferuf.

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Berlin/Hamburg. Betriebe bügeln Defizite mit Nachhilfe im Unternehmen aus: So gaben in einer Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages mehr als ein Drittel der Betriebe an, auf die Defizite der Schulabgänger mit einem eigenen „Angebot von Nachhilfe im Unternehmen“ zu reagieren. Insgesamt hätten sich inzwischen drei Viertel aller Ausbilder auf schlechtere Schulabgänger eingestellt. Rund ein Viertel aller Auszubildenden löse seinen Ausbildungsvertrag vorzeitig auf, in manchen Studiengängen seien Abbruchquoten von bis zu 40 Prozent zu verzeichnen.

Die Universitäten seien „zunehmend mit Studienanfängern konfrontiert, die ihre Begabungen offenbar auf ganz anderen Feldern als in der Wissenschaft haben, denen der klassische, Humboldtsche Bildungsbegriff genauso fremd ist wie eine employability als Ausbildungsziel der Bologna-Reform und die sich irgendwann dann auch selber fragen, was sie an der Universität eigentlich sollen.“ Tatsächlich werde den Abiturienten mit der Übergabe des Abiturzeugnisses die Hochschulreife und eine allgemeine Studierfähigkeit lediglich suggeriert. An sich sei es nicht verkehrt, wenn der Unterricht den Schüler in die Lage versetze, seine fachlichen Kenntnisse auf unterschiedliche Lebenssituationen anzuwenden und daraus Selbstbewusstsein zu entwickeln: „Kommt dabei aber die fachliche Bildung zu kurz, dann bricht das ganze Konzept zusammen und die Schüler flüchten sich in die Geschwätzigkeit.“

„Nun könnte man sich natürlich fragen, warum ein Germanist etwas von Mathematik verstehen oder ein Elektroingenieur das Feuilleton der ‚Zeit’ mit Gewinn lesen sollte, prekär wird es aber dann, wenn der Lehramtsstudent für das Fach ‚Deutsch’ die Sprache seines künftigen Unterrichtsfaches nicht sicher beherrscht oder der Elektroingenieur sich bei der Berechnung der Größe der Brandschutzanlage wegen ungenügender mathematischer Kenntnisse vertut. Genau in diese Richtung gehen die Beobachtungen und Befürchtungen vieler Professoren und Professorinnen.“

Der Aufschrei der 130 Mathematikprofessoren und -Lehrer ist lediglich der jüngste Hilferuf, die Schulzeit des Gymnasiums — sei es nun G8 oder G9 — wieder mit Basis-Inhalten statt mit Methoden-Kompetenz zu füllen. Grundsätzlich lag Roman Herzog 1997 mit seiner „Ruckrede“ nicht falsch. Nur hätte die Bildungspolitik neben Herzog besser auch auf damalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth (CDU) gehört. Die sagte im gleichen Jahr: „Wir manövrieren uns in eine Einbahnstraße. Wir reden über die Wissensgesellschaft, nicht über die Bildungsgesellschaft. Das sind zwei verschiedene Dinge.“

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